Rückblick: Als ein Kinderbuch vom Mühlheimer Helge Nyncke fast auf den Index kam „Es geht darum, neugierig die Welt zu betrachten“

Helge Nyncke, der Maler, Autor und Kunstpädagoge geriet einmal in den Fokus von Ursula von der Leyen. Foto: man

Mühlheim (man) – Die Verfassung schützt nicht nur die Freiheit zu glauben, an was man will, sondern auch die Existenz eines Gottes zu negieren. Das kann in der Praxis auch noch im 21. Jahrhundert zu Gegenwind führen, so wie es Helge Nyncke erlebte.

Der Mann wirkt wie jemand, von dem sich sagen lässt, „der ruht in sich“. Der vor allem als Illustrator von Kinderbüchern bekannt gewordene Maler, Autor und Kunstpädagoge lebt seit 35 Jahren in Mühlheim.

Im Dezember 2007 weckte Nyncke das Interesse des Bundesfamilienministeriums. Nyncke hatte gemeinsam mit dem Philosophen Michael Schmidt-Salomon ein Kinderbuch mit dem Titel „Wo bitte geht‘s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel“ veröffentlicht. Was dann passierte, kam für die beiden nicht aus heiterem Himmel, „damit hatten wir gerechnet“. Das Ministerium, in dem damals Ursula von der Leyen das Sagen hatte, stellte bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften den Antrag, das Kinderbuch auf den Index zu setzen. Nur Volljährige sollten es lesen dürfen. Der Grund, im Buch würden „die drei großen Weltreligionen Christentum, Islam und Judentum verächtlich gemacht“. Text und Illustrationen enthielten „mithin antisemitische Tendenzen“.

Der Inhalt: Das kleine Ferkel und sein Freund der Igel lesen auf einem Plakat, „wer GOTT nicht kennt, dem fehlt etwas!“. Auf der Suche nach Gott erzählt den beiden ein Rabbi, dessen Locken ihn als orthodox kennzeichnen, von der Sintflut. Die Vernichtung fast allen irdischen Lebens kommentiert das Ferkel mit, das sei „so was von gemein“ und kündigt an, „dem Herrn Gott ganz dolle auf den Fuß zu treten“, sollte es ihn irgendwann mal treffen.

In einer katholischen Kirche isst das Ferkel Hostien, bis der adipöse Bischof erzürnt erklärt, es handele sich um den Leib des Herrn. „Wenn die schon den Sohn vom Herrn Gott verspeisen, wer weiß, was sie kleinen Igeln und Ferkeln antun“, fürchten sich die beiden und verlassen eilig die Stätte.

Detailliert argumentierten Nyncke, Schmidt-Salomon und ihr Verleger Gunnar Schedel auf über hundert Seiten erfolgreich gegen den Indizierungsantrag. Beistand bekamen die drei auch von dem jüdischen Berliner Journalisten Hendrik M. Broder. Das Begehren des Familienministeriums sei lächerlich, das Kinderbuch „auf keinen Fall antisemitisch“. Atheistische Eltern müssten mit Kinderbibeln leben, „komischerweise werden Leuten, die nicht glauben, nicht in die gleichen Rechte gesetzt, wie Leuten, die glauben“. Broder sprach von dem Grundrecht, sich auch über Religionen lustig zu machen.

Unter dem Titel „Die Rettung des kleinen Ferkels“ brachten Autoren und Verleger zehn Jahre nach dem Erscheinen des Kinderbuchs eine Rückschau auf die damalige Zeit heraus. Das Ferkel hatte damals auch Zeitungs- und Fernsehjournalisten empört.

Nyncke vergleicht die Sicht auf die Welt mit einer Pyramide. Für den Gläubigen befinde sich die Spitze oben, „das Leben verengt sich mit dem Ziel, ins Paradies zu gelangen“. Hingegen verbreitere sich im Laufe des Lebens das Spektrum dessen, der die Pyramidenspitze unten sehe, „es geht darum, neugierig die Welt zu betrachten, nicht irgendwelche Dogmen nachzubeten“.

Darin sieht Helge Nyncke auch seinen pädagogischen Ansatz in der Nachmittagsbetreuung der Europäische Schule in Frankfurt. Der 64-Jährige arbeitet handwerklich kreativ mit den Kindern. Ihm gehe es darum, sich möglichst weit weg von dem zu bewegen, was er „Malen nach Zahlen“ nennt. Wichtig sei nicht, was am Ende herauskommt, „sondern die eigenen Wege dorthin zu finden“.

Helge Nyncke nahm zeitweise an der Buskampagne mit dem Titel, „Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott“ teil. Irgendwann habe er jedoch gespürt, „so langsam vereinnahmt mich das Thema, ich verstehe mich schließlich nicht als hauptamtlicher Religionskritiker“. Das erinnert den Satz in Heinrich Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“, in dem der Held konstatiert, „Atheisten reden nur von Gott.“