Diskussionsrunde über Gewalt gegen Ehrenamtliche „Gewalt ist mittlerweile Kommunikationsform“

Ehrenamtliche berichteten bei der Diskussionsrunde von ihren Erlebnissen. Foto: m

Mühlheim (m) – Immer häufiger kursieren Meldungen von Rettungskräften, die von Passanten bei ihren Einsätzen behindert oder gar attackiert werden. Was tun, wenn Ehrenamtliche zu Opfern von Aggressionen werden? Diese Frage versuchte eine Diskussionsrunde auf Einladung der Stabsstelle Gleichberechtigung, Integration und Prävention des Magistrats im Kontakt-Werk zu beantworten. Ehrenamtliche aus Vereinen schilderten Karl-Heinz Stier und mehr als 20 Besuchern des Erzählcafes ihre Erlebnisse.

Der Kriminalbeamte Günter Kiepfer ist auch Schiedsrichter-Obmann. Beispiele für Gewalt im Fußball gebe es reichlich, „Beleidigungen von Spielern und Zuschauern sind an der Tagesordnung“, sagt der Aktive der Sportvereinigung Dietesheim. Er selbst wurde noch kein Gewaltopfer, erinnerte aber an ein A-Jugendspiel in Hausen, als Spieler vom Platz geschickt wurden. Die Mannschaft schlug, trat und bespuckte den Unparteiischen.

Professor Michael Gutmann ist leitender Psychologe beim Deutschen Leichtathletikverband und lehrt in Göttingen. Er sitzt im Mühlheimer Präventionsrat und informierte, „Gewaltmotive haben mit Egoismus zu tun: Wer handelt, der bestimmt, wo’s lang geht“. Diese Personen werden handgreiflich, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Oft erzeugen Alkohol und Drogen Ängste, die in Aggression umschlagen. Und „wenn Sanktionen nicht zeitnah kommen, sind sie wertlos, fehlt der pädagogische Effekt“, lehrte der Experte.

„Wir brauchen mehr Lautstärke in positiver Hinsicht“, forderte Gutmann, „die breite Öffentlichkeit ist still“. Dabei sollte sie den Ehrenamtlichen den Rücken stärken, die „Mitte der Gesellschaft muss die Stimme erheben“. Dazu empfahl er Image-Kampagnen, die deutlich machen, „was für uns wichtig ist, worüber wir uns aufregen“. Der Psychologe betonte, „wir haben keinen allgemeinen Werteverfall, aber die, die andere Vorstellungen haben, sind ziemlich laut.“

Moderator Stier berichtete aus Wiesbaden, wo bei einem Notarzt-Einsatz alle Reifen vom Rettungswagen abmontiert wurden. Stadtbrandinspektor Lars Kindermann verwies auf Umfragen, nach denen Feuerwehrleute zu den angesehensten Bürgern zählen. „Aber viele fühlen sich gestört, wenn wir nachts mit Martinshorn durch den Ort fahren, wie es vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist.“

Am Einsatzort machen Leute Bilder mit Verletzten, behindern die Arbeit der Retter. „Der Respekt vor Leuten in Uniform schwindet“, stellte der Rechtsanwalt fest. Nach einem körperlichen Angriff auf einen Feuerwehrmann forderte Kindermann, mehr „Öffentlichkeit herzustellen“. Man habe den Verein „Hände weg“ gegründet und schule die Kräfte für eine Deeskalation.

„Falschparker werden zur Anzeige gebracht, aber Gerichte sind nicht geneigt, Brandschützer zu unterstützen“, klagte der Feuerwehrchef weiter. „Strafen sind oft so gering, dass sich Verurteilte umdrehen und sagen, interessiert mich nicht.“ Vor allem Urteile im Jugendstrafrecht fielen „sehr mild“ aus. „Wir brauchen keine Änderung des Strafgesetzbuches, sondern eine konsequente Umsetzung“, sagte der Jurist und forderte, Übergriffe gegenüber Hilfskräfte nicht bloß mit einem Fingerzeig zu ahnden.

„Arbeitsstunden gelten da als Freispruch, manche haben 70, 80 Verfahren am Hals und keinen einzigen Tag in Haft verbracht“, ergänzte Sven Seeger. Er war Streetworker am Frankfurter Hauptbahnhof und ist im Rettungsdienst tätig, sorgt mit einer eigenen Firma für Deeskalation. Aggressionen gingen oft aus von „Leuten ohne Sozialisierung“ aus, für die „Gewalt ein übliches Kommunikationsmittel ist“ nach dem Motto, „wer reden muss, ist schwach“.

Seeger sprach von „Menschen mit verschobenem Rechtsbewusstsein“ und berichtete von einem Berufsfeuerwehrmann, der angefahren wurde, weil er einen Autofahrer anhielt. „Gewalt ist mittlerweile eine Kommunikationsform, Bedrohungen sind alltäglich.“ Der Fachmann erwarte, dass „Grenzen gesetzt werden, klar wird, dein Handeln hat Konsequenzen“. Bürgermeister Daniel Tybussek forderte zuvor, grundsätzlich mehr Höflichkeit und Achtung zu üben.

„Multikulti funktioniert verdammt gut“, ergänzte Gutmann. Was fehlt sei eine moralische Instanz, da der Einfluss der Kirche schwinde. „Wir brauchen Vorbilder, Menschen, die beeindrucken, die fehlen auch in der Politik.“