Einst ein Aufreger, heute selbstverständlich Ingrid Schimanowski und der integrative Kindergarten

Nach 29 Jahren Kita-Leitung heißt es für Ingrid Schimanowski nun Abschied nehmen von der Arche. Foto: man

Mühlheim (man) – Am 1. September ist das hauptberufliche Finale für Ingrid Schimanowski nach 29 Jahren Dienst nun offiziell. Die Leiterin der Kindertagesstätte Arche Noah der evangelischen Friedensgemeinde wurde im Gottesdienst schon verabschiedet. Nach drei Wochen Kita-Ferien im August erscheint Schimanowski diese Tage nicht mehr an der Mozartstraße: Sie geht in Rente.

Wenn die Mutter von drei längst erwachsenen Kinder spricht, lässt sich sofort hören: Diese Frau stammt nicht aus der Region. In Duisburg wuchs Schimanowski auf, im Stadtteil Meiderich, „wo der MSV Duisburg herkommt, der Meidericher Spielverein“. Im Ruhrgebiet absolvierte sie auch ihre Ausbildung zur Erzieherin.

Ins dem Rhein-Main-Gebiet verschlug es Schimanowski zum Sozialpädagogik-Studium in Frankfurt. Später übernahm sie für acht Jahre die Leitung des Kindergartens der Bethlehemgemeinde in Ginnheim, bevor sie im Mai 1987 nach Mühlheim wechselte – zu einer Zeit, als der Gemeindepfarrer noch lange Hans Rumpeltes heißen sollte und Bürgermeister Werner Grasmück noch eine halbe Dekade Amtszeit vor sich hatte.

Damals sei sie mit der Maßgabe eingestellt worden, den Mühlheimer Arche-Kindergarten in das zu verwandeln, was er heute ist: eine integrative Einrichtung, die zehn Kinder mit und zwanzig ohne medizinisches Handikap gemeinsam in zwei Gruppen besuchen.

Wenn Ingrid Schimanowski von ihrer ersten Zeit erzählt, klingt das wie ein Bericht aus voraufklärerischen Zeiten. Nicht wenige Eltern hätten damals dagegen gewettert, dass ihr gesunder Nachwuchs mit behinderten Kindern durch eine Türe gehen soll. Manche hatten Angst, ihr Kind könnte sich an den Behinderungen, die meistens Gendefekte oder Sauerstoffmangel während Schwangerschaft und Geburt verursachen, anstecken. Es gleicht einer Sisyphusarbeit, jemanden von etwas abzubringen, das er ohne plausiblem Grund zu glauben bereit ist. Eltern meldeten ihre Kinder ab: „Dadurch kamen wir aber schnell auf die erlaubte Kinderzahl pro Gruppe.“

Noch merkwürdiger wirkte es, als Mütter von ihrer Furcht erzählten, die ausgebildeten Fachkräfte könnten dem eigenen Kind eine Behinderung attestieren.

Manchmal passierte das tatsächlich. Die 62-jährige erzählt, wie Erzieherinnen bei einem Kind ein unrunder Gang auffiel. Ein anderes konnte mit vier Jahren bestimmte Konsonanten nicht klar artikulieren. Eine Einlage für zwei Jahre im Schuh und ein paar Stunden bei der Logopädin verhinderten, dass die Kinder als Erwachsene mit dem Malheur zu kämpfen haben.

Eltern, die heute ihre gesunden Kinder in der Arche anmelden, treffen die Entscheidung ganz bewusst. Es hilft ihren Töchtern und Söhnen, sich zu sozial verträglichen Menschen zu entwickeln. Im Miteinander spielten die Attribute behindert oder nichtbehindert keine Rolle, beobachtet Schimanowski: „Sie nehmen einander so an, wie sie sind“. Unter gesunden Kindern herrsche der Sprachgebrauch vor „der kann das noch nicht“, mit der Betonung auf „bald kann der das auch“. Für das Erlernen von Rücksichtnahme sei die Arche mit ihrem integrativen Konzept glänzend geeignet.

Ingrid Schimanowski lebt in Ortenberg in der Wetterau, Mühlheim wird sie dennoch erhalten bleiben. Für den Verein „Rettet Kinder – rettet Leben“, der sich um schwer erkrankte Kinder kümmert, wird die Sozialpädagogin mit ihrer Zusatzausbildung als Musiktherapeutin stundenweise arbeiten. Die 27-jährige Erzieherin Fabienne Grothe übernimmt ihre Nachfolge in der Arche.