Heide Gensheimer griff bei den Interkulturellen Wochen in ihrem Buchladen das Thema Märchen auf Märchenabend im Mühlheimer Buchladen

Heide Gensheimer erzählt, wie der Pole dem Ehepaar Melania und Wassily schon das Totengebet sprechen will, wie sich wetten, wer den Topf spülen muss. Foto: man

Mühlheim (man) – Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den meisten Märchen und den meisten Hollywood-Filmen. Die Charaktere sind klar gezeichnet:

Hier die Guten, dort die Bösen, auch wenn es Ausnahmen gibt. Ein Beispiel sind die Eltern in Hänsel und Gretel, die ihre Kinder aussetzen.

Denen geht dabei nicht um mehr Zeit für Jux und Dollerei und Selbstverwirklichung. Sie fürchten, die Kinder nicht mehr ernähren zu können.

Die Hexe, die beide aufnimmt, ist dann wieder fies aus einem Guss. Genauso, wie der raffinierte und hinterhältige Wolf, der einmal Rotkäppchen und die Oma frisst, das andere mal die sieben Geißlein.

Ihre Retter sind so ausschließlich gut, wie die Opfer lieb und naiv sind. Im Märchen sieht das das arme Mädchen nicht nur immer klasse aus, es schafft noch eine Menge weg.

Zur Belohnung bekommt es jungen, galanten Prinzen.

Dessen Rolle übernimmt in afrikanischen Versionen der stets mutige Sohn des Häuptlings. Den Wolf spielt hier die Hyäne.

Aber warum muss ein jüdischer Flickschuster in Afghanistan jemandem den Kopf abschlagen, und wie schafft er es, sich herauszuwinden?

Warum kann niemand einen Topf abspülen, obwohl das halbe Dorf schon auf der Matte steht?

Fragen, die Heide Gensheimer vor Kurzem als Beitrag zu den Interkulturellen Wochen bei ihrem Märchenabend im Mühlheimer Buchladen nicht offen ließ.

Heide Gensheimer klärt außerdem noch auf, das Rotkäppchen stamme nicht aus deutschen Landen, sondern auch Frankreich.

Kaum verwunderlich. Irgendwie passt es nicht zu den Teutonen, dass die Enkelin der Oma eine Flasche Rotwein durch den Wald trägt.

Als Ouvertüre erzählt Gensheimer ein russisches Märchen, das eine emanzipatorische Botschaft in sich birgt.

Ehefrau Melania weigert sich, nach dem Essen den Topf zu spülen.

Ihre arbeitsteilige Begründung klingt plausibel, „ich habe gekocht, Du wäschst den Topf“. Die Antwort des Gatten Wassily entbehrt hingegen jeder Logik, auch wenn das Argument häufig immer noch greift, nicht nur bei Männern: „Das ist eine Arbeit für die Frau.“

Dann vereinbaren die beiden eine Wette, „wer morgen zuerst aufsteht, das erste Wort spricht, muss den Topf spülen“.

Es kommt, wie man es ahnt. Anscheinend müssen weder Wassily noch Melania auf die Toilette. Die beiden liegen noch stumm, als das halbe Dorf erscheint und der Pope schon etwas von Totengebet murmelt.

Melania ist es schließlich, die das Ding verliert, als der Geistliche eine Nachbarin ausdeutet, sie könne Melanias Watte- Jacke erben, und die sofort danach greift.

Den jüdischen Flickschuster in Afghanistan besucht allabendlich inkognito der König, der sich vom armen Mann bewirten lässt.

Am folgenden Tag gibt der Herrscher immer ein neues Dekret heraus, das den Mann geschäftlich trifft.

Erst verbietet der König die Flickschusterei. Der Jude weicht auf Holzhandel aus und kann seinen Freund wieder abends zum Essen einladen.

Am nächsten Tag ist der Handel mit Holz, dann der mit Wasser verboten. Am Stadttor wird der Mann angehalten, mit einem Schwert in der Hand unentgeltlich Wache zu stehen.

Abends tauscht er beim Krämer das Metall- gegen ein Holzschwert, um für sich und den Gast kochen zu können.

Am nächsten Tag befehlen ihm die Wachen, einen vermeintlichen Mörder den Kopf abzuschlagen.

Der Flickschuster sieht zum einen in dessen Augen, „der Mann ist unschuldig“, zum anderen steckt in der Scheide nur Holz.

Schließlich packt er das Schwert am Griff und ruft aus, „Gott, wenn der Mann schuldig ist, dann will ich seinen Kopf abschlagen, wenn nicht, dann verwandele die Klinge in Holz“.

Die Massen sind verblüfft.

Der König hatte aus dem Hintergrund die ganze Szenerie beobachtet und weiß jetzt, der Mann eignet sich zu seinem Chefberater.