Mit einer Postkarte zur Europa-Kampagne wurde die Jury überzeugt Mühlheimer Tim Rieth gewinnt Kreativwettbewerb

Tim Rieth aus Mühlheim ist von der europäischen Idee absolut überzeugt und macht sich dafür stark. Foto: man

Mühlheim (man) – In ihrer Historie erlebte die Europäische Union sicher schon entspanntere Phasen als momentan. In manchen Ländern leben weniger, in anderen aber wieder deutlich mehr Bürger, die mit der EU weit stärker Themen wie Bürokratie, Lobbywirtschaft und bankrotte Staatshaushalte verbinden als Errungenschaften wie offene Grenzen, Frieden und gesenkte Telefontarife. Der Berliner Verein „Artikel 1 - Initiative für Menschenwürde“ hatte mit Blick auf die Europawahl einen Kreativwettbewerb für seine Europa-Kampagne „Europäische GeDanken“ gestartet. Der Mühlheimer Tim Rieth gewann zusammen mit zwei Kommilitonen. Das Trio konzipierte eine Postkarte mit dem Titel „#DankeFuerEuropa & Ich & Europa“.

Auch wenn Rieth für den Pressetermin ein Oberteil mit Europaflagge wählte, ein kritikloser Geist im Hinblick auf die EU ist der Student der Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der TU-Darmstadt keineswegs. Er könne verstehen, dass die Norweger sich 1994 in einem Referendum gegen eine Mitgliedschaft aussprachen. Das Land, dessen Einnahmen aus dem Ölgeschäft zum größten Teil in den Staatshaushalt fließen, kennzeichne ein hoher Sozialstandart, „den wollten die Norweger nicht durch einen Beitritt aufs Spiel setzen“.

Das neoliberale Dogma, der Markt werde schon alles richten, habe sich als Irrtum erwiesen, „mit der Währungsunion hätte es eine Transferunion geben müssen, ähnlich dem bundesdeutschen Länderfinanzausgleich“. Mit dem Euro hätten Krisenländer keine Möglichkeit mehr, mit der Abwertung von Drachmen, Lira oder Peseten die eigene Exportwirtschaft anzukurbeln.

Es fällt generell nicht leicht, die Normalität zu schätzen, erst recht, wenn man etwas anderes nie erlebte. „Meine Generation kennt nur die offenen Grenzen“, betont Rieth.

Die EU habe ihm über ihr ERASMUS-Programm ein dreiviertel Jahr Studienaufenthalt an der Universität von Maastricht ermöglicht. Auf dem FEG habe er drei Fremdsprachen gelernt, „jetzt kann ich mich auch auf Niederländisch unterhalten“. Dass die entspannte Nachbarschaft von Ländern, die sich im letzten Jahrhundert noch bekriegten, nicht vom Himmel gefallen sei, sondern auch mit der EU zusammenhänge, sei ihm beim Austausch in Frankreich aufgegangen, als er in Rodez ein viertel Jahr zur Schule ging. Der Großvater der Gastgeberfamilie sagte bei seinem Anblick, „gegen euch habe ich gekämpft“. Jetzt sei er jedoch froh, „dass ich mit Dir zu Mittag essen kann“.

Die EU habe es auch ermöglicht, dass es mittlerweile klappt, von Spanien nach Deutschland mit dem gleichen Handytarif zu telefonieren, wie von Mühlheim nach Offenbach. Der EU sei auch das Verbot von Einwegplastik zu verdanken, „so konnten manche Regierungen gegen Widerstand im eigenen Land sagen, ‘wir müssen, weil Brüssel das verlangt“. Das Beispiel zeige aber auch ein generelles Problem: „Was gut ist, schreiben sich Regierungen auf die Fahne, das Schlechte wird Brüssel zugeordnet.“ Die Qualität des vergangenen Wahlkampfes sieht Tim Rieth kritisch, „es geht um Floskeln, nicht um Inhalte“. Die Grünen sollten konkrete ökologische Positionen besetzen, „etwa weniger Nitrate durch die Landwirtschaft“. Die CDU könnte hingegen die Sicherung der EU-Außengrenzen als ihr konkretes Thema benennen. Statt dessen positioniere man sich gegen die AfD im Sinne von „wir sind die guten Demokraten, ihr die Populisten“. Es wäre sinnvoller, gegen die Rechten zu argumentieren, ihnen den Opferstatus zu nehmen, „man sollte lieber über deren sozialpolitischen Vorschläge sprechen“. Viele AfD-Wähler wüssten schließlich nicht, gegen welche eigenen Interessen sie stimmten. Bei allem berechtigten Ärger halte er es für falsch, nicht wählen zu gehen, sich für die europäischen Belange weder zu interessieren, noch zu engagieren.

Entfernt erinnert es an Rudi Dutschkes Postulat vom ‘Marsch durch die Institutionen’, wenn Tim Rieth resümiert: „Man kann innerhalb des Systems das System verändern.“