DGB-Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag 2020 „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“

Karl-Heinz Stier (rechts) spricht über die Hitler-Rede zum Kriegsbeginn und über die Prophezeiungen von Karl Kraus. Foto: man

Mühlheim (man) – Unter der bekannten Überschrift hatte der DGB Mühlheim wie in jedem Jahr zur Erinnerung an den Beginn des zweiten Weltkriegs eingeladen.

Vor Zuhörern wie dem Stadtverordnetenvorsteher Harald Winter, Bürgermeister Daniel Tybussek und dem Ausländerbeiratsvorsitzenden Hüsamettin Eryilmaz sprach der Journalist Karl-Heinz Stier an der Friedenseiche vor der Willy-Brandt-Halle.

„Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“, zitiert Karl-Heinz Stier aus Adolf Hitlers Radiorede vor dem Reichstag nach der Invasion der Wehrmacht in Polen am 1. September 1939. Die SS hatte nächtens einen Überfall auf einen Sender im schlesischen Gleiwitz nahe der polnischen Grenze fingiert. Hitlers Worte sollten sich ins Langzeitgedächtnis der Nation brennen.

Später erzählten Zeitgenossen, dass die Verkündung aus dem Volksempfänger noch nicht mal bei strammen Nazis bedingungslose Euphorie auslöste. In den Köpfen steckte noch die Erinnerung an den letzten Krieg, der mit Hurrageschrei begann und sich unter den Gasmasken im Schlamm der Schützengräben über die Jahre bis zur Niederlage zog. „Göring ist noch skeptisch“, notierte Goebbels an dem 1. September ins Tagebuch. Mit Blitzkrieg-Jubel ging dann weiter, was wieder im totalen Elend mündete.

Stier erwähnt die 70 Millionen Toten, den Holocaust und die vielen Städte, die in Schutt und Asche lagen. „’Nie wieder Krieg’, so dachten die meisten Menschen am Ende des Weltkrieges“, spricht der frühere Fernsehmoderator von der Atmosphäre nach dem Ende des Nationalsozialismus.

Stier erwähnt auch, wie sich die Hoffnung nicht erfüllte: „Überall gibt es nach wie vor Kriege mit unzähligen Toten. Menschen müssen flüchten, von Frieden keine Spur.“ Dafür aber von Rendite: „Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur der Welt“, erklärt der Vorsitzende des Geschichtsvereins, „wir nehmen bei den Rüstungsausgaben mittlerweile den siebten Platz ein“. Der Wehretat liege bei 45,2 Milliarden Euro, „gerade in Zeiten der Pandemie könnte mit dieser Unsumme Ländern geholfen werden, wo es an einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung fehlt“. Stier resümiert auch die aktuelle innenpolitische Lage. Wenn Rechtsextremisten die Stufen des Reichstags stürmten, sei es klar, „dass hier nicht Gegner des Maskentragens, sondern Gegner unserer freiheitlichen Grundordnung agieren“.

Der Antikriegstag solle auch verdeutlichen, „dass Menschen, die bei uns Asyl finden, in Menschenwürde bei uns leben können. Wir haben dazu die finanziellen Möglichkeiten und auch die Kraft der Herzen, deren Leid zu verstehen und zu helfen“.

Stier beobachtet, dass der zweite Weltkrieg bei manchen in Vergessenheit gerät, „viele jungen Menschen hören heute kaum mehr zu, wenn wir von den Schrecken erzählen“. Der 79-Jährige erinnert an die Verzweiflung in den Familien, wenn der Briefträger die Nachricht brachte, der Sohn, der Vater oder der Bruder liegen weit weg unter der Erde.

Stier zitiert aus „Die letzten Tage der Menschheit“ des 1936 verstorbenen österreichischen Schriftstellers Karl Kraus, der bereits 1915 anfing, das Drama zu schreiben: „Alles was gestern war, wird man vergessen haben; was heute ist, nicht sehen; was morgen kommt, nicht fürchten. Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren, vergessen haben, dass man ihn begonnen, vergessen, dass man ihn geführt hat. Darum wird er nicht aufhören.“