Der Mühlheimer Schausteller Horst Ferling erklärt, wie hart Corona die Branche trifft „Die Pandemie ist für uns alle eine Katastrophe“

Die Corona-Pandemie trifft Horst Ferling als Schausteller besonders hart. Foto: m

Mühlheim (m) – München ohne Oktoberfest, Frankfurt ohne Dippemess’ und Mühlheim ohne Kerb: Die Maßnahmen in der neuen Zeit treffen eine Branche besonders hart, die Schausteller. Horst Ferling und sein Team haben ihre Wagen bisher in diesem Jahr nur ein einziges Mal aus der Halle an der Dieselstraße gefahren – Anfang März zum TÜV, der für ihre Fahrzeuge jedes Jahr erneuert werden muss. – Das kostet den Betrieb eine stattliche vierstellige Summe. Dazu werden natürlich Haftpflicht und Steuer fällig.

Inzwischen rollen zwar die ersten Autoscooter im Land wieder. Allerdings nicht aus dem Hause Ferling, und das hat gute Gründe, wie der Chef der ältesten Schausteller-Betriebe im Land zwischen den eng geparkten Transport- und Wohnwagen erläutert. „Für viele Betriebe lohnt sich das nicht mehr“, ist sich der Unternehmer sicher, „die Pandemie ist für uns alle eine Katastrophe“. Ferling rechnet damit, dass viele Kollegen bald „nicht mehr zurechtkommen“ werden. Er berichtet von „gut gemeinten Versuchen“ in Dortmund, Eschwege, Hanau und Lohr, die Schausteller „mit Abstand“ in Veranstaltungen einzubinden. In München sollen die Fahrgeschäfte auf einem abgesperrten Gelände laufen. Im Eintrittspreis sei die Nutzung der Attraktionen enthalten. „Das funktioniert mit Maske und Hygieneregeln nicht“, hört der Wahl-Offenbacher immer wieder von Bekannten, die an diesen Konzepten teilnehmen. „Es lohnt sich einfach nicht“, lautet die Rückmeldung. „Ich brauche mindestens drei Leute, um Zuckerwatte zu machen, Mandeln zu brennen und frisches Popcorn herzustellen“, verdeutlicht Ferling. Die Angestellten benötigen Zimmer im Hotel oder einen Wohnwagen. „Und ich kann sie nicht nur für die Wochenenden bezahlen, wenn ein Markt geöffnet ist“, verdeutlicht der Chef. Die meisten seiner erfahrenen Helfer stammen aus Ländern Osteuropas und sind derzeit daheim. Sie müssten also erst einmal herbeigeholt werden, gibt Ferling zu bedenken. Weil auch das sich nicht rechnet, bleibt er mit seiner Frau und den Töchtern Nadine und Tanja, die sonst einen der beiden Autoscooter betreut, zu Hause, schaut Fernsehen und besucht Freunde. „Urlaub gibt es nicht“, hat er entschieden und plaudert über seien Fahrplan. Bereits Mitte März hätten sie auf dem Ostermarkt in Bad Orb gestanden, dann auf der Dippemess’ in Frankfurt. Dann folgten die Frühjahrs-Messe in Gießen, Rummelplätze in Lauterbach, Alsfeld und das Trachtenfest in Schlitz in diesen Tagen. „Die Feste wurden nacheinander abgesagt.“ Die Kerb in Flörsheim wurde erst vor 14 Tagen gestrichen, auch das Oktoberfest in Mühlheim findet nicht statt. Die Saison endet für die Ferlings normalerweise am letzten Wochenende im November in Eltville. Ob das auch in diesem Jahr so ist, steht noch in den Sternen.

Die Firma betreibt zwei Scooter-Geschäfte, dazu zwei Süßwaren- und Imbisswagen, insgesamt 15 Fahrzeuge, untergestellt an zwei Orten. „Mühlheim war schon lange wieder eine Nummer zu klein“, schildert er die Situation seines Unternehmens. Es verfügt in Hanau über eine weitere, größere Halle.

Klug war sicherlich die Entscheidung, neben dem Unterstand für die Zugmaschinen und Anhänger Unterkünfte für Arbeiter und einige Wohnungen zu bauen. Sie halten derzeit zumindest den Vermieter über Wasser. Die Geschichte des Waldheimers mit Wurzeln in Frankfurt begann Ende des 19. Jahrhunderts, als Großvater Heinrich Ferling sich nacheinander kleine Karussells, eine Schiffsschaukel und eine Schießhalle anschaffte. Die Rundfahrgeschäfte hat er selbst konstruiert.

Ebenso hielt es Vater Wilhelm, Jahrgang 1903, mit seinem ersten elektrischen Scooter anno 1932. Sohn Horst (geboren 1939) erinnert sich: „Ich hab’ nach der Schule den Ranzen in die Ecke geschmissen und Eisenplatten zusammengeschraubt.“ Er absolvierte eine Schlosserlehre, aber sein Beruf stand von Kindesbeinen fest – der einzige Spross der Schaustellerfamilie stieg ins Geschäft ein.

Während des Kriegs blieben die Festplätze freilich geschlossen. Anno ‘46 bauten sie ihr Angebot zur Messe Frankfurt erstmals wieder auf, damals noch am Ostpark. „Da kostete ein einziges Auto für die Scooter-Anlage 2.200 D-Mark“, weiß der heutige Firmeninhaber noch genau. „Einen VW Käfer haste für 2.600 Mark gekriegt“, verdeutlicht er die Dimension für die Familie. In dieser Zeit verfügte sie über 22 bis 30 Scooter. Heute sind es zwischen 26 und 28 – und für einen einzigen müssen sie rund 6.000 Euro hinblättern. Hinzu kommen die Ausgaben für Kassenwagen, Gleichrichter, Schalttafel – insgesamt 1,5 Millionen Euro! „Ein solches Geschäft ist neu nicht mehr rentabel“, ist dem Schausteller klar. Und in diesen Zeiten schon gar nicht.