Luther hätte nichts zu meckern gehabt Pilgertag zwischen Dietesheim und Steinheim

Erste Stadion auf dem Pilgerweg: Kirchenvorsteher Holger Pieper erzählt von der Historie eines Dietesheimer Wahrzeichens, der Wendelin-Kapelle, wo die Schweinehirten zur Messe gingen. Foto: Mangold

Mühlheim (man) – Pilgern führt seit ein paar Jahren kein Nischendasein mehr. Längst widmen sich nicht nur strenge Katholiken der Disziplin. Der Hype setzte mit Hape Kerkelings Reisetagebuch „Ich bin dann mal weg“ ein. Kerkeling hatte auf den Rat eines berühmten Reformators offensichtlich nicht gehört.

Die Protestanten gelten nicht als Erfinder des Pilgerns. Im Gegenteil. Sabine Müller-Langsdorf, Pfarrerin und Referentin für Friedensarbeit im Frankfurter Ökumene-Zentrum, spricht von Martin Luther, der dem Gang über den Jakobsweg nach Santiago de Compostela skeptisch gegenüber stand: „Lauf nicht dahin, man weiß nicht, ob Sankt Jakob oder ein toter Hund daliegt.“ Luther missfiel das Geschäftsmodell der römischen Kirche, die auf der Pilgerstrecke Ablassbriefe mit der vermeintlichen Gewissheit an den Mann brachte, „wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ Eine Korrelation, die der Reformator nicht sah.

Am „Pilgertag zwischen Dietesheim und Steinheim“ unter der weiteren Überschrift „Frieden auf dem Weg“ hätte Luther am vergangenen Sonntag eigentlich über nichts meckern können. Pfarrerin Müller-Langsdorf und Holger Pieper, Kirchenvorsteher der Friedensgemeinde, organisierten und gestalteten die Strecke inhaltlich.

 „Wir halten es mit der Ökumene“

Vor der Gustav-Adolf-Kirche an der Untermainstraße warten Tanja Böhmker und Martina Sondergeld auf den Start. Pfarrer Ralf Grombacher tauft drinnen gerade noch ein Kind. Die beiden Frauen sind zwar katholisch, laufen jedoch bei den Evangelen mit. Ursprünglich wollten sie an der Telgter Wallfahrt im Bistum Münster teilzunehmen. Beide hatten jetzt dann doch keine Zeit. Der Tag heute ist quasi Ersatz. Und sowieso: „Wir halten es mit der Ökumene.“

Martina Sondergeld erklärt, warum Wandern und Pilgern für sie nicht das gleiche ist. Beim Pilgern kämen die besonderen Denkanstöße hinzu. So wie an der ersten Station, der Wendelin-Kapelle. Holger Pieper trägt vom Heiligen Wendelin vor, der den Katholiken als Schutzpatron der Hirten gilt.

Mit der Miniaturkirche hat es folgende Bewandtnis: Die Schweinehirten mussten die Tiere auch sonntags in den nahen Eichenwald treiben, weshalb sie nicht den regulären Gottesdienst besuchen konnten. Deshalb bauten sie die Kapelle am Ortsrand, wo der Priester ihnen die Messe las. Eine Frau spricht „vom inneren Frieden“, den die Hirten fanden, um den Bogen zum Thema zu spannen. Müller-Langsdorf erwähnt die Sonntagsarbeit, bevor alle gemeinsam den passenden Psalm für den Ort sprechen, Psalm 23, „Der Herr ist mein Hirte.“

Von Station zu Station

Neun Leute laufen den modernen Pilgerweg mit, darunter das Mühlheimer Pfarrerehepaar Martina und Ralf Grombacher, die sich heute auch mal treiben lassen können. Der nächste Haltepunkt liegt an der Hundeschule der Polizei, am Rand des Naherholungsgebiets. Heute herrscht hier Ruhe, niemand kläfft wie sonst üblich. Die Tiere üben am Flughafen. Müller-Langsdorf spricht von der Funktion der Polizei, die meist dort einschreite, wo das Miteinander nicht funktioniert. Als Bild des friedlichen Zusammenlebens liest die Pfarrerin aus dem Buch Sacharja vor: „Auf den Plätzen Jerusalems werden alte Männer und Frauen sitzen.“

Dass nicht nur zählt, was in Schriften steht, sondern vor allem auch, in wessen Ressort die Exegese fällt, zeigt das fünfte Gebot, das für die Pilgerstation „Steinheimer Galgen“ auf dem Wegzettel steht: „Du sollst nicht töten.“ Klingt klar, hielt aber auch den Klerus zu dessen Herrschaftszeiten nicht davon ab, vermeintliche Gegner in den Tod zu schicken. An den Steinsäulen, über denen früher ein Balken lag, um Delinquenten zu erhängen, berichtet Pieper von einem gewissen Clomann, der hier am 12. September 1834 am Strang starb. Clomann käme heute wohl mit einer Bewährungsstrafe davon. Der einschlägig vorbestrafte Mann hatte einem Händler aus Mannheim auf dem Weg zur Messe in Frankfurt einen mit Kleidung und Geld gefüllten Koffer vom Wagen gestohlen, in dem er ein Seil durchschnitt. Klarer Fall von schwerem Diebstahl. Strafe: Drei Monate bis zu zehn Jahren. Damals kostete so eine Tat das Leben.

Nach 14 Kilometern Wegstrecke, vorbei am Friedensdenkmal in Steinheim und der Staustufe am Mainufer, endet der Pilgertag, wo er anfing: an der Gustav-Adolf-Kirche.