Fastnachter erobern Hessischen Städte- und Gemeindebund Virtuell 400 Rathäuser gestürmt

Den angereisten Tollitäten aus dem ganzen Kreis konnte sich niemand zur Wehr setzen. Um kurz nach zwölf Uhr wurde der Hessische Städte- und Gemeindebund erobert. Foto: m

Mühlheim (m) – „Schlächtschwätzer, Ribbelfresser, Schnarchnasen“, tönte es krächzend aus einem schmalen Fenster im ersten Stock, „Schlappekicker, Volleulen, Färzverbeißer“. Welch Vokabular für den altehrwürdigen Hessischen Städte- und Gemeindebund (HSGB), obendrein aus dem Munde seines Direktors. Doch Karl-Christian Schelzke hatte zu Weiberfastnacht noch mehr Munition parat.

„Babbsäck, Laatschegickel und Labbeduddels!“, plärrte der seriöse Herr ins Megaphon. Doch die Angegriffenen wussten sich zu wehren: „Ihr Simbel, Spitzkligger, Schlumbel und Knäulköpp’“, schrien die Narren von unten zurück. „Stoffel, Krischer, Ludscher, Krautärscher“, konterte der Hausherr. „Was wollen die denn hier mit ihren bunten Kleidern, grellen Gesichtsfarben und den komischen Hüten?“, fuhr Schelzke den Gefährten hinter seiner Schulter an. Stadtrat Karl-Heinz Schmunck drang den Direktor früh zur Aufgabe. Schließlich konnten auch die paar bunt gewandeten Angestellten auf der Treppe vorm Haupteingang nicht viel ausrichten gegen das Heer der Tollitäten und einer Hundertschaft in seinen Reihenstand.

„Diesmal wird es richtig hart“, hatte Schelzke noch vor dem Wortgefecht geprahlt, „wir kommen mit schweren hessischen Schimpfkanonaden, mal sehen, ob sie dem was entgegensetzen können“. Sie konnten, kurz nach zwölf drangen die Fastnachter in das Gebäude an der Henri-Dunant-Straße, nahmen den Saal auf der anderen Seite des Komplexes ein.

„Ihr stürmt jetzt virtuell mehr als 400 Rathäuser“, eröffnete Schelzke den Angreifern, „und die haben alle kein Geld“. Darum wollte er schon zehn Euro Eintritt kassieren.

Die Narren nahmen die Festung also ohne Gegenwehr ein. Das lag vielleicht auch am Respekt vor der Verstärkung. Eva Jacob von den Jacobs Sisters und Matthias Mangiapane mit Dschungel-Erfahrung drängten mit. Eine weitere zielsichere Waffe in den Händen er Karnevalisten waren Sonnaus Reinhold Paul und seine Gesangspartnerin Simone Kerchner, die mit viel Dampf aktuelle Hits in den kleinen Saal schmetterten.

Organisator Stephan Mündelein hieß fast 30 Regenten willkommen. Mehrere Prinzenpaare waren nur zur Hälfte vertreten wie das Mühlheimer – Evelyn muss arbeiten, entschuldigte sie Holger. Andere krächzten mit heiser Stimme aus der heißen Phase ins Mikrofon. So forderte Lämmerspiels Joey, „weg mit der Bürokratie“. Frankfurts Prinz Pascal stammt aus Seligenstadt und Offenbach und freute sich: „Endlich werde ich für meine Herkunft mal nicht ausgebuht!“ „Einen Rathaussturm gibt’s schon lange nicht mehr, dank der Politik, von dort kam das her“, erläuterte Rädelsführer Mündelein den abgelegenen Ort für die Zeremonie. Die Stadtoberen schafften es aus Kostengründen ab, erinnerte der Moderator, doch, „in Müllem, da geht was, und was denn genau: das Licht aus, die Sau raus, Müllem helau“, feuerte er die Eroberer an. Dann ging’s den Krawatten an den Kragen, so wie es die Weiberfastnacht fordert. Prinzessinnen vollzogen den Schnitt an ihren Prinzen, Kinderprinzessin Rosa schnippelte versiert am Schlips von Elias. Stolz präsentierten die Damen ihre Beute in die Kameralinsen. Die Offenbacher Vertreter warben für ihren Jubiläums-Lindwurm am 2. Februar 2020, Vereinskamerad Gerd Noll überraschte den aktuellen Sonnau-Ritter Ludwig Neunobel und seine Vorgängerin Gabi Mollbach mit dem Orden der Förderation Europäischer Narren.

Ralf Falkenstein vom Kostheimer Carneval-Verein zog mit Gitarre und scharfer Zunge über Fußballer und Politiker her. „Steckt das Geld in Renten, Kitas, Kultur und Schulen, anstatt die Verteidigungskosten zu erhöhen“, bezog er klar Position. Fachkräfte werden auch in Berlin gebraucht: „Lieber bei den Regierenden die Diäten raffen, die sollen mal in der freien Wirtschaft schaffen“ - da wären die meisten arbeitslos, fürchtete der Fastnachter. Bei den Nachbarn werde demonstriert, der deutsche Michel bezahle brav, ducke sich und nicke alles ab. So schimpfte er auch kräftig gegen „braune Gedanken“ der AfD, die Datenschutzverordnung und Panikmache beim Diesel - in Wohnräumen sei 20-mal so viel Feinstaub erlaubt. „Über Deutschland lacht die ganze Welt“, wetterte er, die Gäste quittierten es mit kräftigem Applaus. Zur Live-Musik servierten HSGB-Mitarbeiter heiße Wurst und süße Kreppel, Bier und Kaffee.