Diagnose Rett-Syndrom / Eine Mühlheimerin berichtet „Wir waren fertig mit der Welt“

Familien betroffener Kinder gründeten den Selbsthilfeverein, dessen Vorsitz Petra Römer übernahm. Foto: man

Mühlheim (man) – Es ließ sich nicht nur für das Ehepaar Römer, sondern anfangs auch für die Mediziner nicht erklären, warum Lisa als kleines Kind plötzlich so vieles verlernte. Heute lässt sich die seltene Krankheit früh durch einen Gentest erkennen. Petra Römer berichtet vom Rett-Syndrom ihrer mittlerweile 26-jährigen Tochter. Die Mutter engagiert sich als Vorsitzende von „Rett-Syndrom-Südwest.“. Eltern betroffener Kinder gründeten den Verein vor gut einem Jahr.

Sauerstoffmangel für ein paar Sekunden zu lange reichen, dass sich kein gesundes Leben mehr entwickeln kann. Nichts anders gilt für den winzigen Defekt eines Chromosoms. Petra Römer erzählt, wie alles glatt lief, als ihre zweite Tochter Lisa 1993 zur Welt kam. Gewicht, Größe und Wertewaren ebenso unauffällig wie das Verhalten des Säuglings. „Nichts deutete auf eine Behinderung“, erzählt die 52-jährige. Als das Kind anderthalb Jahre alt war, kamen den Eltern Zweifel. Bis dahin hatte Lisa schon einzelne Wörter gesprochen, dann plötzlich nicht mehr. „Sie knetete ständig ihre Hände. Wir dachte, es juckt sie“, erinnert sich die Mutter. Lisa konnte außerdem nichts mehr greifen. Ein Arzt in der Klinik in Hanau schaute sich das Kind an und sagte, „ihre Tochter ist nicht normal“. Der Mann tippte auf frühkindlichen Autismus. „Wir waren fertig mit der Welt“, erinnert sich Römer an Gespräche mit Ehemann Frank. Der Kinderarzt teilte die Autismus-Diagnose nicht, konnte aber auch nicht sagen, was es sonst sein könnte. In der Universitätsklinik Frankfurt fiel im Februar 1995 der Begriff „Rett-Syndrom“. Der Mediziner dort gab der Mutter aber lediglich die Diagnose eines Kollegen weiter, „er wusste selbst nicht, was Rett-Syndrom bedeutet“.

Die Mühlheimerin fragte einen ihr bekannten Apotheker, der nachschlug und erst mal schwieg. Auf Römers Nachfrage antwortete er, „dein Kind wird nicht mehr lange leben“. Mittags ging die Mutter mit Lisa zum Kinderarzt, der erklärte, von einem Rett-Syndrom noch nichts gehört zu haben. Etwa eines von 15.000 Mädchen ist von der Krankheit betroffen, deren Symptome der Wiener Kinderarzt Andreas Rett das erste Mal in den 1960er Jahren beschrieb. Zwischen dem 6. und 18. Monat kommt es zu einem Stillstand der Entwicklung. Erlernte Fähigkeiten gehen wieder verloren. Typisch sind die Hände, die sich nicht mehr nutzen lassen, so wie damals bei Lisa. Mittlerweile lässt sich mit einer Zuverlässigkeit von 95 Prozent per Gentest feststellen, ob ein Mädchen betroffen ist. Es sind nur Mädchen, die den Gendefekt im Mutterleib überleben. Männliche Embryos gehen ab, ohne dass eine Frau das merken muss. Den Römers gab damals ein Arzt der Uni-Klinik die Adresse einer Elternhilfe für Kinder mit Rett-Syndrom. Die Familie trug sich in eine Liste ein und bekam bald Post, „meine Anne ist zwei Jahre älter als eure Lisa. Wollen wir uns mal treffen?“ Daraus entwickelte sich ein enger Kontakt, der nach wie vor besteht. Familien, die sich über die Selbsthilfegruppe kannten, gründeten im November 2018 schließlich Rett-Syndrom-Südwest e.V., eine Anlaufstelle für Betroffene aus in den Regionen Rhein-Main, Saarland, Pfalz und Mosel. In erster Linie geht es um den persönlichen Kontakt. Der Verein bietet aber auch Fachvorträge über Themen wie Musiktherapie, Orthopädietechnik oder Epilepsie an, mit der viele Rett-Betroffene zu kämpfen haben. Bisher gilt die Krankheit als unheilbar. „Es gibt jedoch Ansätze in der Forschung“, hofft Petra Römer, dass sich der Zustand ihrer Tochter irgendwann verbessern lässt, dass die Krankheit bei Säuglingen erst gar nicht ausbrechen kann.

Mittlerweile ist Lisa 26 Jahre alt. Der sechs Jahr jüngere Bruder füllte schon früh die Rolle des älteren aus, der auf seine Schwester achtet. Laufen kann Lisa nur, wenn man sie stützt. Ansonsten sitzt sie im Rollstuhl, sprechen kann sie nicht, Kommunizieren aber schon. Petra Römer erzählt, wie Lisa einmal versehentlich Vater Frank in den Finger biss, als der sie fütterte. Anschließend zeigte Lisa auf ein Symbol für „Entschuldigung“. Homepage des Vereins: www.rett-syndrom-suedwest.de.