Open Air-Sonderführung mit Richard Plackinger „Eine der wichtigsten Fundstellen in Europa“

Ein Pfeil reichte natürlich nicht, um ein großes Tier zu erlegen. Anders verhält es sich, wenn eine ganze Gruppe so schießt wie Matthias Kiel. Foto: man

Mühlheim (man) – Am vergangenen Sonntag bedurfte es an der B 43 keines Schildes, um darauf aufmerksam zu machen, dass Richard Plackinger wieder eine Open Air-Sonderführung der vor- und frühgeschichtlichen Arbeitsgruppe veranstaltet. Morgens um kurz nach elf fand sich vor lauter Besuchern schon kein Abstellplatz mehr.

Der ahnungslose Betrachter hält das Areal zwischen Dietesheim und Steinheim für einen ganz normalen Park- und Grillplatz. Stimmt zwar, es handelt sich jedoch vor allem um eine der wichtigsten Fundstellen in Europa aus der Zeit des Spätpaläolithikums, die sich von 12.000 bis 8.000 v. Chr. erstreckte. Die Menschen, die einst hier lebten, wussten nach dem Sonnenaufgang noch nicht, wie sie bis zum Untergang satt werden sollen.

Mal angedacht, der Menschen sei über die Jahrtausende seiner Entwicklung von Außerirdischen beobachtet worden, hätte wohl kein grünes Männchen darauf gewettet, dass die Gattung irgendwann in der Lage sein wird, auf dem Mond zu landen oder Knochenbrüche zu operieren. Lange herrschte eine gewisse technische Stagnation. „Über 1,7 Millionen Jahre war der Faustkeil das einzige Werkzeug des Menschen“, erklärt der Oliver Littmann, der Mann, der heute demonstriert, wie die Vorfahren aus Feuersteinen Pfeilspitzen oder etwa den tropfenförmigen und von allen Seiten scharfen Micoque-Keil herzustellen, den Littmann das „das Taschenmesser der Neandertaler“ nennt.

Die meisten halten den Neandertaler für unseren Vorfahren. Zum Teil stimmt das auch, jedoch nur zu einem geringen. Die Variante des Menschen lebte nur in Europa und verließ den Kontinent nie, erklärt Richard Plackinger. Anders als der Homo Sapiens, den es von Afrika aus nach Europa zog, wo er sich zumindest ein bisschen mit dem Neandertaler mischte, wie das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie jüngst nachgewiesen habe, „etwa drei bis vier Prozent unseres Erbgutes stammt vom Neandertaler“. Das habe die helle Haut und die glatten Haare bedingt. Der Neandertaler selbst starb jedenfalls aus. Für den Grund gibt es etliche Theorien. Plackinger nennt die vom gewaltigen Ausbruch eines Vulkans auf den phlegräischen Feldern, nur 20 Kilometer vom Vesuv entfernt, nicht weit weg von Neapel. Wenn irgendwo die Lava in den Himmel schießt, merkt das ein paar hundert Kilometer weiter erst mal niemand. Die Katastrophe kommt später. Die Asche aus dem Ausbruch lässt sich bis heute noch in Russland nachweisen. Giftiger Schwefel-, Fluor- und Chlorregen sorgte für ein massenhaftes Aussterben von Tieren. „Der Neandertaler aß fast nur Fleisch“, erklärt Plackinger. Weiträumig unterbrach der Ausbruch bei Neapel die Nahrungskette. Plackinger wird seine eigenen prähistorischen Funde, die der 76-Jährige auf einer Reise mit dem Offenbacher Veranstalter Hans-Jürgen Wagner 1989 in der Sahara von Algerien fand, dem Stadtmuseum übergeben, „so wie die Vitrine steht, sind die dort zu sehen“. Im Stadtmuseum hängt dann auch das Bild einer Mühlheimer Künstlerin, das eine Frau aus der Gegend von Dietesheim zeigt, die zwischen 1500 und 1200 vor unserer Zeitrechnung gestorben sein muss. Längst hatte der Ackerbau die menschlichen Sozialstrukturen verändert. So konnte sich eine Schicht entwickeln, die andere für sich arbeiten ließ, was bei den Jägern und Sammlern der Steinzeit nicht funktionieren konnte. Die Frau entstammte aus vermögenden Verhältnissen, das belegt der in ihrem Grab gefundene Bronzeschmuck.

Nebenan auf der Wiese demonstriert der Pfeil- und Bogenexperte Matthias Kiel, wie der Steinzeitmensch jagte. Mit seinem Wurfspeer kommt Kiel heute 53 Meter weit. Damit lässt sich auch mit viel Übung nicht zielgenau ein Hirsch erlegen, geschweige denn ein Mammut. „Das funktionierte nur durch die Gruppe“, erklärt der 48-jährige. Die sah zu, wie sich das Tier möglichst umzingeln lässt, um es mit einem Hagel an Pfeilen oder Speeren zu erlegen.