Fluchtversuch durch die Ostsee scheiterte Ehemalige DDR-Bürgerin berichtet an Brüder-Grimm-Schule

Manuela Polaszczyk wurde bei ihrem Fluchtversuch aus der DDR von Soldaten gefasst. Endgültig brach ihre Welt zusammen, als sie von den Stasi-Tätigkeiten ihrer Eltern erfuhr. Foto: Postl

Neu-Isenburg (lfp) – Es ist ein warmer Juli-Morgen im Jahr 1984: Die 20-jährige Leistungsschwimmerin der DDR geht mit ihrer Freundin ins Wasser der Lübecker Bucht – und beide schwimmen los. Immer wieder schauen sich die jungen Frauen um, denn sie sind keine normalen Standbadegäste, ihr Ziel ist das andere Ufer der Bucht: ein westdeutscher Strand. Der „Eiserne Vorhang“, er zog sich auch durch das Wasser der Ostsee. Patrouillenboote des DDR-Überwachungsapparates waren auch hier Tag und Nacht unterwegs.

„Wir schwammen los, ohne zu wissen, dass es 38 Kilometer bis zur Küste gewesen wären. Aber schon nach zehn Minuten entdeckten wir ein Militärboot und es nahm auch schon Kurs auf uns“, schildert Manuela Polaszczyk den Schülern der Brüder-Grimm-Schule die bis dahin größte Schrecksekunde ihres Lebens.

Verhör im Stasi-Stützpunkt

Es sollten noch schlimmer kommen. „Wir sind zurück zum Ufer geschwommen, aber da kamen auch schon Soldaten mit Gewehren auf uns zu“, berichtet Manuela Polaszczyk. Mit immer neuen Gewehrlauf-Stößen in den Rücken trieben die Soldaten die „Republikflüchtlinge“ durch den Sand zu den Fahrzeugen, dann wurden sie zum Verhör in einen Stasi-Stützpunkt gebracht. „Niemand kann sich vorstellen, welche Angstgefühle da aufkommen, wenn man durch hohen Sand stapfen soll und ein Gewehrlauf stößt einem immer wieder in den Rücken“, sagt Polaszczyk.

Die Brüder-Grimm-Schule in Neu-Isenburg richtet zurzeit in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft, die von Friede Springer Stiftung gefördert wird, einen Workshop zum Thema „Alles nur Geschichte(n)? – Leben im doppelten Deutschland“ mit den beiden zehnten Realschulklassen aus. Zuvor hatten die Schüler im Rahmen ihres Unterrichts vom Leben in der DDR erfahren. „Für junge Menschen, die erst nach dem Mauerfall geboren wurden, ist es schwer vorstellbar, wie das Leben in einer Diktatur war“, sagt Schulleiterin Regina Barth. „Kein Unterricht kann die Realitäten so vermitteln wie Zeitzeugen, die das System aus totaler Überwachung selbst erlebt haben“, begründete die Schulleiterin den Unterricht mit Manuela Polaszczyk.

Eltern hüteten jahrelang ein Geheimnis

Die einstige DDR-Bürgerin schildert, wie ihre Familie, als sie gerade mal ein halbes Jahr alt war, von der Bundesrepublik in die DDR zog. Ihr Vater fühlte sich dort wohl, Manuela Polaszczyk wollte und konnte sich aber, je älter sie wurde, mit dem Zwang und Unterdrückung nicht abfinden. Auf ihr Drängen hin stellte ihr Vater insgesamt zwölf Ausreiseanträge, alle wurden abgelehnt. Als die Familie eines Tages eine Einladung zu einer Hochzeit aus dem Westen erhielt, durfte ihr Vater ausreisen – und kam zu ihrer Überraschung nicht mehr zurück. Manuela Polaszczyk stellte wieder mehrere Ausreiseanträge, diesmal mit der Begründung der Familienzusammenführung, auch diese wurden abgelehnt. Somit blieb ihr nur der Fluchtgedanke.

Manuela Polaszczyk musste ein Martyrium an Stasi-Verhören durchstehen, blieb jedoch immer bei ihrer Aussage, dass sie nur zum Schwimmen an der Ostsee war. Es half nichts, denn ihre Freundin gestand den Fluchtversuch. Schließlich wurde sie wegen „Republikflucht“ zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und kam in das berühmte Frauengefängnis Hoheneck. Durch Vermittlung ihres in der Bundesrepublik lebenden Vaters wurde sie schließlich freigekauft.

Ihre Welt brach aber gänzlich zusammen, als sie durch eine Akteneinsicht erfuhr, dass ihr Vater und auch ihre Stiefmutter inoffizielle Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheit waren. „So etwas kann man niemandem wünschen, aber ich musste es erleben“, sagt Manuela Polaszczyk, die ihr Schicksal in den Büchern „Spuren der DDR-Vergangenheit“ und „DDR – Ein schwerer Weg“ verarbeitet hat.

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