Klaus Keller ist seit 50 Jahren Pfarrer „Gott funktioniert nicht auf Knopfdruck“

Seit 50 Jahren trägt Pfarrer Klaus Keller sonntags den Talar. Der Mann, dem schwammige Positionen nicht liegen, predigt in Zeppelinheim trotz offiziellem Ruhestand seit 2002. Foto: Mangold

Neu-Isenburg (man) – Manche Arbeitnehmer zählen schon die letzten zehn Jahre die Tage bis zur Rente. Sei es, weil die Arbeit langweilt oder der Chef einen ärgert. Klaus Keller könnte schon längst die Füße hochlegen, gemeinsam mit Gattin Bärbel die Winter auf Teneriffa verbringen, „oder mir vom Aussichtsturm die Flieger auf der Rollbahn betrachten.“ Aber Pfarrer zu sein ist ein besonderer Job. Und der Gläubige kann seinem Chef sowieso nie aus dem Weg gehen: „Ich wollte meinen Beruf trotz Rente weiter ausüben.“

Vor 50 Jahren zog Keller den Talar über. Am 11. Dezember 1967 ging er nach seiner Ordination erstmals offiziell als Pfarrer aus der Kirche. Niemand käme auf die Idee, den Mann als soften Typen zu bezeichnen. Keller hat einen festen Händedruck und formuliert gerade heraus. Zum Glauben fand er durch Schicksalsschläge in der Kindheit. Im Telefonbuch steht Klaus Keller als Pfarrer im Ruhestand. Dabei handelt es sich eigentlich um Etikettenschwindel. Nach seiner Pensionierung als Seelsorger einer Gemeinde in Oberneisen im Taunus übernahm Keller ehrenamtlich 2002 die verwaiste Gemeinde in Zeppelinheim. Ehefrau Bärbel Keller organisiert das Büro für die etwa 400 Gemeindemitglieder.

Keller stammt aus keiner sonderlich religiösen Familie. Als er dem Vater von seinem Entschluss erzählte, Theologie zu studieren, verfiel der ebenso wenig in Euphorie wie seine Stiefmutter. Der 78-jährige erzählt von seiner Kindheit. Die leibliche Mutter starb, als Klaus acht Jahre alt war, „der Verlust spiegelt sich in meinem Leben bis heute wieder.“ Monate später traf ihn ein weiterer Schicksalsschlag. Sein Hüftknochen löste sich auf. Anderthalb Jahre lag der Neunjährige mit einem Gipsverband im Bett, mit der vermeintlichen Gewissheit, nie mehr laufen zu können. Damals kümmerten sich die Großeltern um ihn. Der Vater heiratete bald wieder. Wohl weniger von Gefühlen geleitet, „sondern eher, um mir wieder eine Familie zu schaffen.“ Blendend funktionierte die Geschichte nicht, deutet Keller an.

„Und dann passierte ein Wunder“, blickt der Geistliche zurück. Die Mediziner konnten nicht erklären, warum sich der Hüftknochen neu bildete, „aus mehr als Lebertran und Vitamintabletten hatte die Therapie nicht bestanden“. Nach den Erfahrungen habe er für sich empfunden: „Ich lebe auf einer anderen Warte.“ Was heißt: „Mit Gott.“ Eine Existenz ohne Glauben empfindet Klaus Keller als sinnlos, „wie eine Wanderung ohne Markierung. Auf der lauf‘ ich rum wie ein Doller.“

Dass den Kirchen viele Leute den Rücken kehren, frustriert den Mann weit weniger, als dass es ihn kämpferisch stimmt. Er sehe seine Aufgabe darin, den Menschen zu zeigen, dass es möglich sei, Gott wahrzunehmen, „so wie ich mehrmals in meinem Leben“. Später überstand Klaus Keller noch den Tod der Mutter seines Sohnes, eine Operation am Herzen und Darmkrebs. Es rege ihn auf, dass ein Immobilieninvestor, der mit dem Slogan „Wohnen auf Knopfdruck“ in Neu-Isenburg werbe, auf den Plänen der Umgebung „jeden Kondomladen abbildet, jede Apfelweinwirtschaft, aber bei der Kirche am Marktplatz findet sich nur ein Fleck“. Letztlich wundere ihn das wiederum nicht, „schließlich funktioniert Gott nicht auf Knopfdruck“. Für ihn sei so ein Thema „ein gefundenes Fressen für die Kanzel.“

Wie lange er weiter mache, das wisse er nicht, „nicht so lange, bis ich nur noch Unsinn rede.“ Bis dahin predigt er weiter im Angriffsmodus: „Pfarrer zu sein, ist schließlich mein Leben.“ Als lächerlich wertet Keller, kein Liebhaber schwammiger Positionen, das Ansinnen einer befreundeten Gemeinde im reichen New York, in Zeppelinheim eine Fürbitte an sie zu adressieren, weil Trump zum Präsidenten gewählt worden sei: „Gott hat Wichtigeres zu tun.“