Gerhard H. Gräber erzählt von seiner Jugend in der Taunusstraße Kippenpfiff ließ die Jugendlichen aufhorchen

Aufmerksam verfolgten die Gäste die Erzählungen des „Taunussträßlers“ Gerhard H. Gräber. Foto: lfp

Neu-Isenburg (lfp) – Schallte ein bestimmter „Kippenpfiff“ durch die Neu-Isenburger Taunusstraße, dann ließen die Mitglieder der Jugendgang alles und stehen und liegen und rannten zum vereinbarten Treffpunkt. „Dann lag was im Busch, meist stand ein Problem mit einer anderen Jugendgang an“, erzählt Gerhard H. Gräber von damals, als die Hugenottenstadt unter Jugendgruppen, den Kippen, in „Reviere“ aufgeteilt war, in denen andere Jugendliche nichts zu melden hatten. „Das war eine harte, aber ganz tolle Zeit“, sagt Gerhard H. Gräber und streicht sich durch den Bart, den er für den bald anstehenden Nikolaus-Einsatz wieder wachsen lässt.

Wie es damals in der Taunusstraße und überhaupt im Westen Neu-Isenburgs zuging, das erzählt der „Taunussträßler“ den gespannt lauschenden Gästen, die auf Einladung der Kolpingfamilie Neu-Isenburg-Zentral in den Saal des katholischen Gemeindezentrums St. Josef gekommen sind.

Eine friedliche Einigung fanden die Kippen allerdings sonntags im „Kali“, wie die Kammerlichtspiele unter den Jugendlichen genannt wurden. „Unsere Kippe war eine der jüngsten und wenn wir unsere Plätze ziemlich vorne eingenommen hatten und dann die stärkere Kippe aus der Schillerstraße kam, reichte nur ein Fingerzeig, dann räumten wir freiwillig das Feld“, beschreibt Gräber die Regeln. „Wenn wir Glück hatten, konnten wir eine noch schwächere Kippe von ihren Plätzen vertreiben – die mussten dann halt stehen.“

Aber es gab auch Situationen, da waren alle gleich, wie beim „Schlubbe“ am Waldschwimmbad. Von den Eltern bekam man zwar die 50 Pfennig für den Eintritt, doch diese investierten viele Jugendliche lieber in die begehrten Viking-Modellautos. Um dennoch ins Schwimmbad zu gelangen, musste man eben irgendwo „durchschlubben“ – das ging so lange gut, bis der strenge Bademeister das Schlupfloch entdeckt hatte.

Ganz spannend für die Jugendlichen war auch der Herbst mit dem beliebten Drachensteigen. Kaufen konnte man sich so ein Fluggerät freilich nicht. Also erbettelte man sich im Sägewerk ein paar Leisten aus leichtem Holz und kaufte im Papierladen das entsprechende Papier. Dann ging es ans Basteln. „Uhu oder so Zeug gab es damals noch nicht, wir haben mit Mehlpapsch geklebt“, erzählt Gerhard H. Gräber unter dem zustimmenden Nicken der Gäste. Und wenn dann die Drachen in luftiger Höhe schwebten, manche hatten Schnüre mit einer Länge von 300 Metern, dann war doppelte Aufmerksamkeit angesagt. „Wir mussten aufpassen, dass wir uns am Himmel nicht in die Quere kommen und dass so ein Spitzbub aus einer anderen Kippe mit dem Taschenmesser nicht die Leine kappt, was auch oft vorkam“, so Gräber.

Die Zeit vor Weihnachten war die Zeit des Nase-Plattdrückens an den Schaufenstern der Geschäfte, denn nur wenige betuchte Eltern konnten sich das leisten, wonach ihre Kinder begehrten. Dafür gab es aber fast jeden Monat echtes Live-Kino in der Bahnhofstraße. Man muss wissen, dass die amerikanischen Besatzer hier ein hartes Regime gegen ihre eigenen GIs führten. „Immer wenn Payday war, dann ging es beim Sonne-Paul ziemlich heiß her. Dann kam plötzlich die Military Police und stürmte mit Knüppeln hinein. Die GIs sind aus den Fenstern gekrabbelt und versuchten abzuhauen, wer es nicht geschafft hat, wurde hart verprügelt und auf den Pick-Up geschmissen – das war für uns Buben wie der schönste Film“, sagt Gräber und schmunzelt heute noch.

Ein großes gesellschaftliches Ereignis, mit den entsprechenden Begleiterscheinungen, war damals noch die Kerb. „Das war wie heute Open Doors und wenn die Botsche kamen, gab es ordentlich Schlägerei“, berichtet Gerhard H. Gräber vom alljährlichen Ritual. „Aber uns ist es in Sprendlingen nicht besser ergangen“, so der Taunussträßler ehrlich. Silvester war die hohe Zeit des „erlaubten“ Schabernacks für die Jugend. Da wurde durch einen „Schweizer Kracher“ so mancher Briefkasten aus den Angeln gehoben und wenn im Karneval mit den eigenen Pistolen, die mit den berühmten Zündplättchen bestückt waren, im Kino zu den Wild-West-Filmen geschossen wurde, dann rastete der Filmvorführer aus.

Ganz spannend auch das Verhältnis zwischen den Katholiken und den Evangelischen, und zum Schmunzeln die Geschichte vom evangelischen Gerhard H. Gräber, der eigens das Kreuzschlagen auf dem Weg zur katholischen Bücherei von St. Josef übte, da er dort ein bestimmtes Buch ausleihen wollte.

Nach dem „Gelobt sei Jesus Christus“ vor dem Büchereiverwalter brach die Meute seiner katholischen Freunde hinter ihm in Lachen aus.

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