Erinnerung an Bertha Pappenheim „Vorbildcharakter gilt heute noch“

Die Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim. Foto: :Stadtarchiv

Neu-Isenburg – Ihr Engagement und ihre Ideen im Kampf gegen Rassismus, Ausgrenzung und Antisemitismus sind heute aktueller denn je. Die Rede ist von Bertha Pappenheim, geboren 1859, deren Leben und Wirken die Seminar- und Gedenkstätte in der Zeppelinstraße 10 gewidmet ist. Vor 85 Jahren, am 28. Mai 1936, verstarb die damals in jüdischen Kreisen weithin lokal, national und international bekannte Frauenrechtlerin nach längerer Krankheit im Alter von 77 Jahren in Neu-Isenburg. Sie wurde in Frankfurt auf dem Alten Jüdischen Friedhof beigesetzt.

1904 gründete Pappenheim gemeinsam mit Sidonie Werner den Jüdischen Frauenbund. Drei Jahre später wurde 1907 das Heim des Jüdischen Frauenbundes – ein Schutzraum für gefährdete Mädchen und unverheiratete Frauen – in Neu-Isenburg eröffnet. Initiatorin und Leiterin der Einrichtung war Bertha Pappenheim. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Akteurinnen der historischen Frauenbewegung des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Und sie ist die Mitbegründerin zahlreicher Institutionen, die sich bis heute etabliert haben.

Anlässlich des 85. Todestages gedachten jetzt Stadtverordnetenvorsteherin Christine Wagner und Bürgermeister Herbert Hunkel der großen Bürgerin der Stadt bei einer Zeremonie an ihrem Grab. „Gerade in der jetzigen Situation wollen wir damit ein Zeichen gegen antisemitische Hetze setzen“, sagt Hunkel. „Bertha Pappenheims Vorbildcharakter gilt für uns heute noch, wir wollen an ihr Leben und Werk erinnern.“

Eine der „stärksten Persönlichkeiten des deutschen Judentums“, so Leo Baeck, war nach dem Krieg fast vergessen. Die erste überregionale Ehrung für Bertha Pappenheim nach dem Holocaust erschien 1954 mit einer Sonderbriefmarke in der Reihe „Helfer der Menschheit“.

Die 1996 eingeweihte und von der Stadt getragene Gedenkstätte will die Erinnerung bewahren, indem ihren verschiedenen Facetten nachgespürt werden kann.

Es ist ein besonderes Haus, vielleicht sogar das historisch bedeutsamste in Neu-Isenburg. 1914 entstand es als zweites Gebäude des Heimes des Jüdischen Frauenbundes. Pappenheim schuf hier ein Schutz- und Erziehungsheim für junge Frauen jüdischen Glaubens, in dem von 1907 bis 1942 insgesamt 1750 Bewohner eine Bleibe fanden. Zugleich bemühte sich Pappenheim zeitlebens, Jüdinnen eine Identität zu geben, sie mit ihren kulturellen und religiösen Wurzeln vertraut zu machen und ihre Rechte in einer von Männern dominierten Welt zu erkämpfen. Die Einrichtung wurde 1942 unter der nationalsozialistischen Herrschaft aufgelöst.

Heute sind auf dem Areal neben der Gedenkstätte auch einige Kindereinrichtungen untergebracht. Auch die große Nachbarstadt würdigt die Frauenrechtlerin: Das Jüdische Museum Frankfurt hat den Platz vor seinem Neubau nach Pappenheim benannt.

Seit April ist Neu-Isenburgs neue Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Anna Held auch Leiterin der Gedenkstätte. Allerdings konnten wegen der Corona-Lage seit über einem Jahr keine Vorträge oder Lesungen mehr dort stattfinden; auch hier musste man Online-Alternativen nutzen. Im Jahr 2010 stellte die Stadt ein Online-Gedenkbuch ins Netz, um die Schicksale der Heimbewohner zu recherchieren. Verzeichnet sind alle Bewohner, deren Daten ermittelt werden konnten. Das Gedenkbuch wird ständig aktualisiert, aus zunächst 471 Datensätzen sind inzwischen über 600 geworden und – was wichtiger ist als die reinen Zahlen – im Laufe der Jahre konnten immer mehr Lebenswege nachgezeichnet werden. Vor allem die Übersetzung des Gedenkbuchs ins Englische hat den Austausch stark belebt, denn die meisten Anfragen, insbesondere die von Angehörigen ehemaliger Heimbewohner, kommen nicht aus Deutschland, sondern aus den USA, aus England und aus Israel. Das von der Historikerin Dr. Heidi Fogel erstellte Gedenkbuch wird inzwischen betreut von Kunsthistorikerin Esther Erfert. Weitere Informationen gibt es unter gedenkbuch.neu-isenburg.de.
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