Werner Alfons Stahls Yseboursch-Roman vereint Fantastisches und Historie Zeitreise auf dem Klappstuhl

Werner A. Stahl auf seiner Dachterrasse an der Hirtengasse und mit Hündin Eboni an seiner Seite. Foto: Mangold

Neu-Isenburg (man) – Quer durch die Zeit, aber immer wieder in die Hugenottenstadt verschlägt es die Protagonisten eines humorigen Yseboursch-Romans: „Die Reisen mit dem grünen Klappstuhl“ hat der Neu-Isenburger Werner Alfons Stahl sein gerade erschienenes Werk betitelt.

Einige erinnern sich an Catweazle aus der gleichnamigen britischen Fernsehserie. Den obskuren angelsächsischen Hexenmeister knallt es aus dem Mittelalter in die Gegenwart der frühen 1970er Jahre. Catweazle zeigt sich ähnlich von Dingen wie „Elecktricktrick“ beeindruckt wie in Stahls Roman ein gewisser Jean Daniel Le Talle von modernen Verkehrsmitteln. Der Isenburger Lehrer, der als Vorlage für die Romanfigur diente, lebte aber tatsächlich. Die Figur Monsieur Le Talle, die im Unterricht mit Vorliebe vom Rohrstock Gebrauch macht, erzählt ihre eigene Geschichte, schreibt im Gasthaus „Zum Goldenen Löwen“ nieder, wie es sie aus ihrer Gegenwart riss: „Mon dieu, an dem Sonntag vor Pfingsten unterzog mich der Herr einer sehr schweren Prüfung.“ Le Talle, der es gewohnt ist, bei der Vorstellung eines Jenseits in den Kategorien Himmel und Hölle zu denken, hält das 21. Jahrhundert, in dem er aufschlägt, „für eine Art ‘Zwischenwelt’“. Gerade hatte der Mann vor dem Schulhaus beim Propheten Jesaja gelesen, „Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen...“.

Als der Fromme nach oben blickt, „gewahrte ich zu meinem großen Erschrecken einen silbernen Drachen, der sich fauchend über den Himmel schob.“ Le Talle kann nicht ahnen, lediglich Zeuge eines Fliegers auf dem Weg von Florenz oder Fort Lauderdale nach Frankfurt zu sein.

Während ein Catweazle als personelles Ganzes in der anderen Zeit landet, stecken Stahls Helden in fremden Hüllen. Der Autor spricht von einem „Tausch von Seelen und Körpern“.

Auch den pensionierten Lehrer Adam Ackermann erwischt es, an der Alten Schule im Alten Ort. Als er sich in seinen Klappstuhl setzt, vernimmt er plötzlich ein ungewohntes Odeur, „der Geruch von Gülle zog an meiner Nase vorbei“. Der Rentner findet sich in einer weit zurückliegenden Zeit in einem Kinderkörper wieder und kann sich die auf Französisch an ihn gerichteten Imperative und die Striemen auf den Innenflächen seiner Hände nicht erklären.

Werner Stahl hat nicht nur ein Buch in der Tradition des fantastischen Romans geschrieben. Vor allem skizziert der Mitgründer und Vorsitzende des Vereins „Pour I’Yseboursch“ die einzigartige Historie der Gemeinde. Im Gespräch auf der Dachterrasse eines Hugenottenhauses an der Hirtengasse erzählt der 64-Jährige Diplompädagoge von der Rolle des Grafen Johann Philipp von Isenburg-Offenbach, der 1655 zur Welt kam, sieben Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, in dessen Folge sich die Bevölkerung hierzulande von zwanzig auf sieben Millionen reduzierte.

„Bei uns siedelten sich nur arme Hugenotten an“, erzählt Stahl, der am Marktplatz über „Apfelwein Föhl“ aufwuchs – „im Fachwerkhaus gegenüber kam ich zur Welt“. Die Armen konnten auf der Flucht aus Frankreich nicht ewig weiter ziehen und nahmen das Angebot des Fürsten an, sich auf der nassen Wiese anzusiedeln. Mit den Fremden holte sich Johann Philipp Leute ins Land, die als Handwerker arbeiten und allesamt lesen und schreiben konnten. „In einem Ort wie Sprendlingen lag die Analphabetenrate bei 95 Prozent“, vergleicht Stahl. Den Franzosen billigte der Fürst Privilegien zu, die für Neid sorgten, „Religionsfreiheit, sie durften ihren Bürgermeister wählen, die Pfarrer bestimmen, kannten keine Leibeigenschaft und durften ihre Sprache sprechen“.

Lehrer Ackermann bekommt den Dreh raus, wie er sich, wann immer er will, in die Hugenottenzeit beamen kann: „Das Reisefieber hatte mich gepackt.“ Berge, Meere und fremde Länder interessieren den Protagonisten nicht. Er will die historischen Menschen kennen lernen: „Mein Ziel war erneut dieser Lehrer Le Talle.“

„Die Reisen mit dem grünen Klappstuhl“, Angelika Lenz Verlag, 143 Seiten, 14.80 Euro.