Von saufenden Soldaten und einem miefenden Malheur Dorfpolizist und Nachtwächter führen durch Bürgel

Rudolf Meyer als Dorfpolizist und Fred Stephan als Nachtwächter haben spannende Details aus der Historie Bürgels für ihre Gäste parat. Foto: Mangold

Bürgel (man) – Sonst kennt man Fred Stephan mit Narrenkappe auf dem Haupt, spielt er doch im Bürgeler Karneval eine zentrale Rolle. Heute erscheint Stephan jedoch in einem anderen Gewand. Als historischer Nachtwächter stellt er Rudolf Meyer vor, der als historischer Dorfpolizist durch Bürgel führen wird: „Würden die heute noch ihre Runden drehen, würde manches Unglück nicht geschehen“, reimt Stephan ganz wie in der Bütt.

Wohl niemand im Offenbacher Stadtteil kennt sich so detailliert mit der Historie von Bürgel aus wie Rudolf Meyer. Der Rundgang mit gut zwei Dutzend Zuhörern beginnt am Bürgerplatz, den der Volksmund „Dalles“ nennt. Meyer erklärt, was es damit auf sich hat: „Dalles“ steht für den Dorfplatz, „der Begriff kommt aus dem Hebräischen und bedeutet ‘Armut’“.

Bürgel konnte den Frankfurter Schutz nicht mehr bezahlen

Als armes Bauerndorf machte Bürgel einst nicht viel her. Meyer erzählt vom Burgrecht, das Frankfurt einst Bürgel gewährte. Das bedeutete, Bürgel musste an Frankfurt einen jährlichen Zins bezahlen und helfen, die Stadtmauern dort auszubessern. Im Gegenzug verpflichteten sich die Frankfurter, den Bürgelern hinter ihren Mauern Schutz zu gewähren, wenn ein Feind drohte, einzufallen. Das Burgrecht verlor Bürgel schließlich, weil sich das Geld für Frankfurt nicht mehr auftreiben ließ.

Meyer spricht auch über die Stadtmauer, mit der sich Bürgel selbst schützte: „Die stand nur zu drei Seiten, zum Norden hin floss schließlich der Main.“ Sonderlich hoch war das Bauwerk mit gerade mal anderthalb bis zwei Metern nicht. Dennoch ließ sich 1644 ein fremder Trupp durch Gemäuer und tapfere Gegenwehr davon abhalten, Bürgel zu plündern. Generell stand die Soldateska im Ruf, sämtliche Vorräte an alkoholischen Getränken zu verbrauchen, „die soffen etwa im Napoleonischen Krieg in Bürgel wie die Stiere“. Bis 1897 war der Dalles noch bebaut, bis der damals erst 29-jährige Bürgermeister Lummert die Häuser abreißen ließ, um einen Bürgerplatz zu schaffen. Der diente nach dem ersten Weltkrieg auch als Handballkleinfeld.

Zeppelin sorgt für stinkendes Missgeschick

In der Strackgasse erzählt Meyer von den 43 Wirtschaften, die es einst in Bürgel gab. Neben den fünf, sechs großen hatten die anderen eher den Charakter von Wohnzimmern, in denen es Wurst und Bier gibt. Bei den Wirten handelte es sich meist um Bauern, die abends ihr Zweitgewerbe betrieben „und oft sich selbst die besten Kunden waren“.

Auf der Strackgasse passierte 1907 ein Missgeschick, das für strenges Odeur im Ort sorgte. Die Schnur eines überfliegenden Zeppelins hatte sich an einem Güllewagen verfangen und den Pfropfen gelöst. Die Zeitung kommentierte die Malaise des Bauern damals wie folgt: „Er war betrübt ob des Verlusts des edlen Nasses.“ Der Satz, den seine Frau auf der Gasse ausgerufen haben soll, wurde anderweitig kolportiert: „Oh, wie schlimm, ein Jahr umsonst geschissen.“

Vor der Pankratius-Kirche spricht Meyer von Gottfried Schaider, dem Priester, der den Bau initiierte, den die Katholiken von Bürgel 1897 einweihten. Schaider verstand es, in bester Ablassmanier Gläubigen am Krankenbett viel Seelenheil im Jenseits zu versprechen, wenn sie die örtliche Kirche testamentarisch bedächten: „Daher kommt es, dass der Pfarrgemeinde Sankt Pankratius etliche Grundstücke im Ort gehören.“

Gegenüber der Kirche an der Stiftstraße, wo später an der Gottfried-Schaider-Straße eine Siedlung entstand, gründete Ernst Becker 1898 eine Ledergerberei. Zuvor hatte er Industriespionage betrieben. Becker hatte sich lange Zeit in Milwaukee im US-Staat Wisconsin aufgehalten, wo seinem Onkel eine Gerberei gehörte, die Leder im großen Stil nach Europa exportierte. Becker baute anschließend in Bürgel ein erfolgreiches Konkurrenzunternehmen auf: „Man will nicht wissen, was da an Chemie in den Boden floss.“