Ortstermin im Kleingarten: Werner Nussbaum bestimmt Apfelbaumsorten Ein Fall für den Pomologen

Ordnerweise Apfelkerne hat Werner Nussbaum katalogisiert. Im Zweifelsfall lässt sich eine Sorte über die Kerneigenschaften bestimmen.

Offenbach – Werner Nussbaums Besteck ist überschaubar: Schwarzer Rollkoffer, Aktenordner unterm Arm und das wichtigste Werkzeug ist sowieso immer dabei: sein Kopf. Nussbaum ist Pomologe und damit einer der ganz wenigen Obstkundler in Deutschland, die in der Lage sind, Apfelbäume anhand der Frucht zu bestimmen. Allein 450 Sorten hat der Apfel-Experte in seinem Hirn abgespeichert, die meisten davon kann er aus dem Stegreif abrufen. Beim Ortstermin in einem Offenbacher Kleingarten zeigt Werner Nussbaum bei fünf bis dato unbekannten, völlig verwachsenen Apfelbäumen, was er in Sachen Sortenbestimmung kann.

Für den ersten in der Reihe braucht der Schönecker exakt drei Sekunden. Das ist ein „Geheimrat Dr. Oldenburg“ legt er sich schon auf drei Meter Entfernung fest. Zum Beweis pflückt er einen der grün-roten Äpfel vom Baum, dreht ihn in seiner Hand hin und her, überprüft Blütenkelch und Farbgebung. Kein Zweifel. Es ist der Geheimrat. Dann legt er los wie ein Lexikon: „Das ist eine Apfelsorte, die 1897 an der Höheren Lehranstalt für Obstbau in Geisenheim gezüchtet wurde.“ Sie sei eine Kreuzung aus den Sorten „Baumanns Renette“ und „Minister von Hammerstein“. Sieben typische Sortenmerkmale und einen längeren geschichtlichen Abriss später, fällt Nussbaums Urteil: „Guter Apfel. Keine Rarität aber eine wirklich schöne Sorte, die man reif vom Baum essen kann.“ Das ist nämlich nicht selbstverständlich. „Viele Sorten schmeckten dann einfach nur grasig und hätten kein Aroma entwickelt, erklärt Nussbaum. „Das bekommen sie erst mit der Lagerung. Manche Sorten erst im Dezember oder Januar.“ Während der Laie wenig Unterschied zwischen den Früchten von Apfelbaum eins und zwei sieht, ist Fall zwei für Pomologe Nussbaum schnell gelöst. „Das ist eindeutig ein ,Gloster 69’“, sagt er nach einem kurzen Naserümpfen. Zum Beweis schneidet er einen der Äpfel auf und legt das weiße Fruchtfleisch und das Kerngehäuse frei. Die Form des Gehäuses, die Beschaffenheit der Kerne und auch die Dicke des Blütenkelchs geben Hinweise. „Das ist wie ein Fingerabdruck“, sagt Nussbaum. Im Zweifel schlägt er in seinem Kern-Magazin nach und vergleicht. „Der Gloster ist ein sehr ertragreicher Apfel. Aber er schmeckt jetzt noch gar nicht.“ Frühestens im Dezember dürfe man ihn verzehren.

Beim nächsten Baum winkt der Pomologe gleich ab. „Das ist ein Jonagold. Zuckerwasser in Schale.“ Immerhin: Bei Kindern soll er der Renner sein, sagt er. Am Ende ist klar: Die ganz raren Sorten finden sich hier im Schrebergarten nicht. Ohnehin hätten die alten Sorten heute einen schweren Stand. Von einstmals 8000 im Jahr 1850 seien heute gerade noch 2500 Sorten übrig. „Und es werden nicht mehr“, klagt Nussbaum. „Auch, wenn wir im Pomologenverein alles dafür tun, die Arten so gut es geht, zu erhalten.“ Das Problem sei, dass der Geschmack der Masse etwas anderes gewöhnt sei. „Im Grunde ist der Arteneinheitsbrei im Supermarkt der größte Feind der vielen wirklich köstlichen alten Sorten.“ Das Problem dabei: Die Bäume müssten unterschiedlich gepflegt und deren Früchte unterschiedlich gelagert werden. Dieses Wissen habe heute fast keiner mehr.

Nussbaum schwört auf die Sorte „Gascoynes Scharlachroter“. Schnell kommt er ins Schwärmen: „Kräftig mit ausgewogener Säure und Süße und einem feinen Muskataroma.“ Es müssten aber nicht immer die ganz seltenen Exemplare sein. Jeder, der einen Apfelbaum hat, sollte zumindest dessen Sorte kennen. „Erst dann kann man die Früchte zum richtigen Zeitpunkt pflücken, lagern und zur richtigen Zeit essen.“

Von Christian Reinartz