Führung an der Schleuse Geschichten von der Offenbacher Wasserstraße

In der Offenbacher Schleuse treffen 15 und 2.500 Pferdestärken aufeinander. Foto: Georg

Offenbach (man) – Durch zwei Pfosten zu fahren, wenn zu beiden Seiten gerade nur noch 27,5 Zentimeter Platz bleiben, verursachte den meisten Autofahrern ein mulmiges Gefühl. Mehr Platz bleibt dem Schiffsführer des Binnenfrachters mit dem Namen Arquero nicht, der das 11,45 Meter breite und 105 Meter lange Schiff in die zwölf Meter breite Schleuse lanciert, ohne irgendwo hängen zu bleiben.

Schleusenschichtleiter Bernd Konze erzählt am vergangenen Donnerstag zehn Teilnehmern während seiner zweiten von insgesamt sechs Führungen als Beitrag zur Route der Industriekultur von der Ausbildung der Schiffsführer. Mit ein paar Fahrstunden wie für den LKW-Führerschein ist es in dem Metier nicht getan. Bis jemand eigenverantwortlich das Nadelöhr in Angriff nehmen kann, „brachte er um die sechs Jahre Ausbildung hinter sich“. Der 36-jährige gelernte Wasserbauer erzählt vom Zustand des Mains, ehe ihn die Menschen durch Wehre und Schleusen domestizierten.

Durch Wasserarme, vorbei an kleinen Inseln, reichte der Fluss, je nach Wasserstand, auf der Frankfurter Seite bis zur heutigen Eissporthalle. Das hört sich zwar idyllisch an, für die Schifffahrt lag darin jedoch die Crux, „die Transporte konnten eine Woche oder einen Monat dauern“.

Fatal für die enge Taktung der im 19. Jahrhundert beginnenden Industriegesellschaft. Die Staustufen, die auf dem Main entstanden, dienten dazu, den Wasserstand in der Schifffahrtsrinne auf heute mindestens 2,90 Meter zu halten. Das reicht für einen Frachter, um mehrere tausend Tonnen über die Wasserstraße zu schippern, ohne auf Grund zu laufen.

Unter den Zuhörern sind Nachkommen eines Kollegen von Bernd Konze. Andreas Dohn erscheint mit seiner Mutter Margot Dohn, seiner Frau und zwei Kindern. Die 81-jährige Margot Dohn ist die Enkelin von Friedrich Laun, dem ersten Schleusenmeister von Offenbach, der mit Beginn des Baus im Jahre 1898 die Stelle antrat, die er bis zu seiner Pensionierung 1933 ausfüllte. Dessen Urenkel Andreas Dohn zeigt Bilder aus dem Jahre 1926, als man noch von einem Nadelwehr sprach. Als Nadeln galten Holzbalken, mit denen sich der Wasserstand regulieren ließ. Wenn das Wasser heute zu hoch ist, ziehen schwere Ketten die Wehrwalze nach oben.

Anschaulich ist der Schleusenvorgang zu beobachten, wenn ein Schiff in der Schleuse liegt. Verläuft die Fahrt aufwärts, schließt sich erst das Schleusentor hinten. Vorne lässt sich anschließend trefflich beobachten, wie das Wasser hineinströmt und die bis zu einer Länge von 190 Meter langen Schiffe um über drei Meter hebt. Flussabwärts läuft es umgekehrt. Bevor das Wasser ein- oder abfließt, müssen die Matrosen stets das Schiff vertauen. Probleme bereiten manchmal Fahrer von Motorbooten, die es selbst in einer Schleuse nicht lassen können, dem Vordermann auf die Pelle zu rücken, als kämen sie dadurch auch nur eine Sekunde irgendwo früher an. Das ist auch auf dem Wasser gefährlich, jedoch nur für die Motorbootfahrer selbst. „Wenn die mit 15 PS in Kontakt mit einem Frachter von 2500 PS geraten, kann das übel enden“, beschreibt Konze die ungleichen Kraftverhältnisse bei einer Kollision. Der Schleusenmeister, dessen oberster Dienstherr der Bundesverkehrsminister ist, erzählt auch von der sieben Jahre dauernden Modernisierung nach dem Krieg. Die begann 1949, als Frankfurt und Offenbach noch überwiegend in Schutt und Asche lagen. Damals sei den politisch Verantwortlichen jedoch klar gewesen, wenn Deutschland wieder wirtschaftlich auf die Füße kommen wolle, dann nur mit einer funktionierenden Infrastruktur.

Frachter, die durch die 34 Staustufen auf dem Main fahren, zahlen maximal 2.500 Euro Maut. Das relativiert sich, wenn Konze erwähnt, bei manchen Schiffen bedeute der Betrag gerade mal die betriebswirtschaftlichen Kosten einer Stunde. Durch die Schleusen des Rheins und der Donau kommen die Schiffe umsonst. Das beruht auf einem Abkommen der damaligen Anrainerländer der Flüsse, der Mannheimer Akte von 1868. Von Offenbach aus lässt sich auch die Schleuse in Mühlheim bedienen, wo seit 2009 niemand mehr vor Ort arbeitet. Als die Führung vorbei ist, sieht Konze auf dem Monitor das Schiff vom Anfang. Die Arquero wartet gerade darauf, dass sich das hintere Tor wieder schließt.