Caritas bietet Hilfsangebot für Kinder psychisch erkrankter und suchtkranker Eltern an Immer noch ein Tabuthema

Gastreferent Prof. Albert Lenz (von links), Birgit Fleck (Caritas-Projektleiterin), Elke Schneider (Caritas-Projektleiterin) und Anette Bacher (Caritas-Bereichsleiterin) waren sich während eines Fachtags einig: Die Kooperation mit Ambulanzen oder Suchthilfe-Stellen ist wichtig für das Hilfsprojekt der Caritas. Foto: CVO/Sabine Schilha/p

Offenbach (red) – Leonie (Name von der Redaktion geändert), zehn Jahre alt, ist froh, dass sie auch weiterhin zu den Gruppennachmittagen ins Caritashaus St. Josef gehen kann: „Hier kann man reden und es hört einem jemand zu“, sagt sie. Und: „Sogar über Probleme kann man sprechen; die werden nicht weitererzählt.“ 

Außerdem findet sie es cool, dass gemeinsam Ausflüge unternommen werden – im Winter zum Beispiel auf die Schlittschuhbahn. Mit anderen Mädchen und Jungen im Alter zwischen acht und zwölf Jahren trifft sich Leonie dort seit anderthalb Jahren alle zwei Wochen zum Spielen, Reden, Dazulernen, Spaß haben.

Die beiden Sozialpädagoginnen Birgit Fleck und Elke Schneider von der Caritas-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche, Eltern und Paare in Offenbach haben die Kindergruppe im Rahmen des Caritas-Projekts „Schatzinsel sucht Entdecker“ seit November 2014 aufgebaut und betreut. Das Angebot wendet sich speziell an Kinder und Jugendliche, deren Eltern psychisch erkrankt oder suchtkrank sind. Mit Gruppenstunden, ergänzt durch Einzel- und Elterngespräche, werden betroffene Kinder dabei unterstützt, sich in ihrer schwierigen Lebenssituation besser zurechtzufinden. „Ziel ist es, die Selbstwirksamkeitsüberzeugung der Kinder zu stärken, sodass sie individuelle Bewältigungsstrategien entwickeln und diesen vertrauen“, sagt Fleck.

Caritas-Bereichsleiterin Anette Bacher freut sich ebenfalls, dass der Caritasverband das Angebot über die von „Aktion Mensch“ geförderte und in diesem November auslaufende dreijährige Projektphase hinaus anbieten kann. Außerdem hat sich Hyundai Motor Deutschland bereit erklärt, das Projekt mit einer großzügigen Spende zu unterstützen.

Das Ende der Projektphase im November nahm das „Schatzinsel“-Team zum Anlass, Bilanz zu ziehen und zu einem Fachtag einzuladen. Zu Vorträgen und Austausch rund um das Thema „Kinder psychisch erkrankter und suchtkranker Eltern wirksam unterstützen: Kooperation ist eine wichtige Voraussetzung“ kamen etwa 50 Teilnehmer aus den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, Gesundheitswesen sowie Bildungs- und Betreuungseinrichtungen ins Caritaszentrum Offenbach. Bernd Bleines, Direktor im Caritasverband Offenbach, benannte in seiner Ansprache drei wesentliche Erfolge des „Schatzinsel“-Projekts: Erstens sei es gelungen, die Öffentlichkeit für die Lebenssituation betroffener Kinder zu sensibilisieren. Zweitens habe es die Vernetzung der Offenbacher Akteure befördert. Und drittens – der wichtigste Punkt – konnten im Rahmen des Projekts bisher rund 20 Offenbacher Kinder und Jugendliche begleitet und wirksam unterstützt werden.

Dass Kinder, deren Eltern an psychischen Störungen oder Suchterkrankungen leiden, einem bis zu achtfach erhöhten Risiko ausgesetzt sind, im Laufe ihres Lebens selbst seelisch zu erkranken, untermauerte Gastreferent Dr. Albert Lenz, Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen, Paderborn, mit Zahlen: 41 bis 77 Prozent der Kinder entwickeln laut Studien eine psychische Störung. Dabei machte Lenz auch deutlich: Durch den Aufbau von Schutzfaktoren und Reduzierung von Belastungsfaktoren lässt sich dieses Risiko signifikant verringern.

Auch altersgerechtes Wissen um die Erkrankung des Elternteils sei ein wichtiger Faktor. Dadurch könnten Kinder das in ihren Augen seltsame Verhalten der Eltern besser verstehen und einordnen – statt die Schuld bei sich zu suchen. Seelische Erkrankungen seien immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft. Es entlaste die Kinder, wenn sie im geschützten Rahmen über die Krankheit sprechen können.

Betroffene Familien zu erreichen und für eine Teilnahme am Projekt zu gewinnen, erforderte seitens der Projektmitarbeiterinnen „viel Geduld und noch mehr vertrauensbildende Gespräche“. Letztendlich kamen Kontaktanbahnungen zum ganz überwiegenden Teil über Kooperationspartner zustande – zum Beispiel über psychiatrischpsychotherapeutische Ambulanzen oder Suchthilfe-Stellen. „Ohne ein interdisziplinäres System an Unterstützung geht es nicht“, sagte auch Lenz. In seinem Vortrag stellte er den zirkulären Zusammenhang zwischen elterlicher Erkrankung und kindlicher seelischer Belastungen dar: Wenn Kinder auf die familiäre Situation mit Verhaltensauffälligkeiten reagieren, so erzeuge dies wiederum erhöhten Stress bei den erkrankten Eltern. Das wirke sich dann wieder auf das Verhalten der Kinder aus. Notwendig seien deshalb häufig mehrere, aufeinander abgestimmte Hilfen und Leistungen, insbesondere aus dem System der Kinder- und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen, forderte er. Und weiter: „Das Problem in unserem Versorgungssystem ist nicht, dass die Hilfen nicht vorhanden wären. Aber es passiert zu viel nebeneinander statt koordiniert. Es gilt, die Übergänge und Abstimmung zwischen dem Gesundheitswesen und der Kinder- und Jugendhilfe besser zu gestalten.“