Bildhauerin arbeitet mit Marmor aus der Toskana Leni Schwing lässt sich von Buchstaben inspirieren

Die Bildhauerin Leni Schwing mit einer ihrer Arbeiten in einer Ausstellung des Kunstvereins Offenbach im Komm-Center, die im April endete. Foto: Mangold

Offenbach (man) – Probanden eines Gedächtnis-Experiments, die sowohl japanische Schriftzeichen als auch erfundene vorgelegt bekamen, fiel es überwiegend deutlich leichter, sich die originalen Zeichen zu merken.

Leni Schwing wundert das Ergebnis nicht: „Die Buchstaben und Zeichen haben ihren Ursprung in einst bildhafter Bedeutung“. Die Offenbacher Bildhauerin erzählt aus dem Alltag ihres einstigen Broterwerbs als Sonder- und Heilpädagogin. Mit Kindern, die nicht sprechen konnten, kommunizierte sie über sogenannte Bliss-Symbole. Miteinander kombiniert, lassen sich damit ganze Sätze bilden. Die Methode spiegelt den Ursprung der Schrift wider, die sich in erster Linie aus dem Bedürfnis entwickelt haben dürfte, einem Abwesenden etwas mitzuteilen.

Hebräisches Alphabet ist Schwerpunkt ihrer Arbeit

Einen Schwerpunkt der Arbeit der Künstlerin Leni Schwing bilden die Buchstaben des hebräischen Alphabets. Schwing spricht von einer „transzendenten Energie, mit der Buchstaben in der jüdischen Tradition angefüllt sind“. Die 22 Zeichen des Alphabets seien mit Bildern verknüpft. Jeder Buchstabe stehe außerdem für eine bestimmte Zahl; so wie im römischen Alphabet das X für die Zahl zehn steht, gilt für das hebräische „Tet“ der Wert 9.

Ein Werk von Schwing nennt sich „Der Eremit“, inspiriert wurde es vom Buchstaben „Tet“. Schwing, die selbst vier Kinder zur Welt brachte, vergleicht den Buchstaben mit dem Bild des gekrümmten Embryos im Mutterleib, „die Assoziation findet sich auch in der jüdischen Mystik wieder“. Gott und Buchstaben bilden in ihr eine Einheit. In jedem Buchstaben spiegelten sich mehrere Bedeutungsebenen wider, was Schwing auf ihre Arbeit überträgt: „Deshalb lassen sich meine Skulpturen nicht nach einem Muster interpretieren“.

 „Jeder Buchstabe, jede Zahl trägt einen Menschen“

Neben dem pädagogischen Zweig studierte Schwing am Kunstinstitut der Goethe-Universität Bildhauerei. Sie sieht in dieser das Gegenüber zur Musik, „auf der einen Seite das Erdhafte, auf der anderen das luftig Geistige“. Mystik und Transzendenz bilden in ihrer Arbeit die Grundmelodie, geleitet von einer pantheistischen Interpretation der Welt, in der nichts isoliert steht, sondern alles einander bedingt. „Jeder Buchstabe, jede Zahl trägt einen Menschen“, sagt Schwing über die Bedeutung der hebräischen Zeichen, die für sie weit über das reine Mittel zur Kommunikation hinaus geht.

Schwing verwendet für ihre Arbeiten Buntsandstein aus Miltenberg und Marmor aus dem toskanischen Carrara. Ihre Skulpturen sind rund und geschwungen, als nähmen sie einen Gedanken auf, um ihn weiter fließen zu lassen. Nicht wenige Betrachter bekommen Lust, die Objekte anzufassen.

Bildhauerei ist auch körperlich harte Arbeit, die Leni Schwing einmal über drei Jahre nicht ausführen konnte. Durch das Heben der Kinder bei ihrer Arbeit als Pädagogin zog sie sich einen Bandscheibenvorfall zu – nicht der einzige gesundheitliche Schlag, mit dem die Künstlerin fertig werden musste. Doch gleich, was Schwing im Laufe ihrer Biografie an Ungemach passierte: „Für mich gilt immer ein ‚Trotzdem!’“