Rundgang zu jüdischen Stätten in Offenbach Mahnung zur Wachsamkeit

Anton Jakob Weinberger mit einem Bild der in Offenbach ordinierten Rabbinerin Regina Jonas vor dem Capitol Theater in der Kaiserstraße. Foto: p

Offenbach (red) – Die Backsteinwand in der Hintergasse gehörte zu einer Synagoge? Warum gibt es diese kleinen Metallplatten im Boden und was genau ist eigentlich ein Rabbiner? Die Schüler der 10d aus der Schillerschule hatten viele Fragen und Anton Jakob Weinberger beantwortete sie während des Rundgangs zu Stätten jüdischen Lebens in Offenbach gewissenhaft und geduldig.

Auf Einladung und durch Vermittlung der Partnerschaft für Demokratie hatten die Schulklasse und der Initiator und Vorsitzende der Salomon-Formstecher-Gesellschaft zueinander gefunden. Für Weinberger eine Herzensangelegenheit, insbesondere jüngeren Menschen eine Idee dessen, was während des Nationalsozialismus verloren gegangen ist, zu vermitteln: 1.000 Mitglieder zählte die jüdische Gemeinde bis 1938, nach dem Krieg bauten zwölf Überlebende diese wieder auf. Etliche schafften es, noch rechtzeitig zu emigrieren, viele ließen in den Arbeits- und Vernichtungslagern ihr Leben.

Dass damit auch viel Wissen, Kultur und Innovationskraft verloren ging, zeigte Weinberger in dem 90-minütigen Rundgang durch die ehemalige Judengasse, Frankfurter Straße und im Büsingpark.

„Wisse vor dem Du stehst“: Seit 2012 weist eine Stele auf die topographische Leerstelle in der Hintergasse hin, an der die 1729 gebaute Synagoge in der heutigen Großen Marktstraße stand. Schon 1707 war die Gemeinde gegründet worden, in der später auch Rabbiner Dr. Salomon Formstecher als einer der Gründungsväter der jüdischen Reformbewegung wirkte. 1918 kaufte das Ehepaar Georg und Lina Ruttmann das Gebäude und ließ es zum Kino umbauen. 2012 wurde die Ostwand der früheren Synagoge freigelegt und restauriert, diese weist nach Jerusalem, an ihr befand sich der Toraschrein, in dem die Torarollen aufbewahrt wurden und das ewige Licht.

„Bis 1822 hieß die Große Marktstraße übrigens noch Judengasse“, erklärt Weinberger den jungen Zuhörern „und war Zentrum des jüdischen Lebens in der Stadt“. Anders als in Frankfurt lebten Christen und Juden frei zusammen und betrieben ihre Geschäfte.

700 Einwohner hatte Offenbach um 1702, 120 von ihnen waren jüdischen Glaubens. Dort, wo heute Kleidergeschäfte sind, waren jüdische Druckereien, Cafés, das Speditions- Wechselgeschäft Merzbach, das Schuhhaus Strauss, das Kaufhaus Oppenheimer und das Geschäft des Garderobenhändlers und Multitalents Hermann Hirschen, dessen immer neu gestaltete Schaufenster ein Stadtgespräch waren. Mit spitzer Feder kommentierte Hirschen als Zeichner und Karikaturist wöchentlich das aktuelle Zeitgeschehen. 1934 wurde sein Geschäft arisiert. An Hirschen und seine Frau, die die Nazi-Herrschaft nicht überlebte, erinnern heute zwei Stolpersteine auf der Höhe der Tedi-Filiale.

Der Weg führt weiter in den Büsingpark, dort wurde auf Initiative der Salomon Formstecher Gesellschaft ein Wegesystem eingerichtet, dass an zwei herausragende Rabbiner und eine Rabbinerin erinnert: Eben an die jüdischen Gelehrten und Seelsorger Formstecher, der sich als einer der Gründungsväter der jüdischen Reformbewegung für den interkonfessionellen Dialog einsetzte, an Dr. Max Dienemann der 1938 zur Emigration gezwungen wurde und zahlreiche Aufsätze und Essays hinterließ und Regina Jonas, die 1935 als weltweit erste Frau in Offenbach ordiniert wurde.

Danach führte der Spaziergang weiter zum Capitol in der Kaiserstraße, das bis zu den Novemberpogromen 1938 als Synagoge genutzt wurde. Bis dahin hatte der 1916 errichtete Kuppelbau 700 Personen Platz geboten und war, so Weinberger, „schon aufgrund seiner im römisch-griechischen Stil anmutenden Architektur ein eher untypischer Sakralbau.“ Der an der Bettinastraße liegende Platz wurde dann als Sammelstation für die Deportation genutzt, das Gebäude selbst erwarb auch hier das Ehepaar Ruttmann für nur 32.000 Reichsmark – der Bau selbst hatte ein Vielfaches, nämlich rund 600.000 Reichsmark gekostet, und nutzte das Haus das Lichtspielhaus sowie für Versammlungen und Kundgebungen der Nationalsozialisten. „Das war spannend“, sagte der 16-jährige Lukas abschließend, „ich bin in Offenbach aufgewachsen und habe heute viel über die Stadt gelernt.“

Allgemeine Informationen zum Bundesprogramm gibt es im Internet unter www.demokratie-leben.de.