Vor 175 Jahren: Sensationelles Ereignis am Mainufer Eine Mainkuh unter Volldampf

Die „Maakuh“ an der Offenbacher Anlegestelle in Höhe des Isenburger Schlosses. Foto: Stadtarchiv (p)

Offenbach (red) – Es ist genau 175 Jahre her: Offenbach zählte etwa 10.000 Einwohner, und die hatten alle nur kurze Wege zum Main. Am 3. Juli 1842 werden deshalb wohl viele Offenbacher zum Flussufer geeilt sein, um Sensationelles zu erleben: Auf dem Main ließ sich der Beginn eines neuen, technischen Zeitalters anschauen. Zum ersten Mal legte in Offenbach ein Dampfschiff an, ein Raddampfer.

Das aufregende Ereignis von 1842 markiert indes nicht den Beginn der Mainschifffahrt. Diese gab es schon lange, wie auch ein prominenter Augenzeuge berichtet. Als der Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe in Weimar an seinen Lebenserinnerungen arbeitete und sich seines Offenbacher Sommers von 1775 erinnerte, notierte er, damals in Offenbach „oft schon früh eine tätige Schifffahrt, von Flößen, von gelenkten Marktschiffen und Kähnen“ beobachtet zu haben.

Angenehmer als marode Straßen

Im Mai 1796 ankerte hier sogar die österreichische Rheinflotte. Ihr Kommandeur zeichnete in Offenbach Soldaten aus, die sich bei der Befreiung von Mainz verdient gemacht hatten. Sie durften dann mit ihrem Chef bei Bankier Metzler speisen. Und als die Schiffe wieder abfuhren, donnerten ihre Kanonen ein freundliches „Adieu Offenbach“. Die Marktschiffe, die Goethe erwähnt, beförderten nach Fahrplan Güter und Personen zwischen Offenbach und Frankfurt. Das bediente vornehmlich lokalen Verkehr, immerhin aber ließen sich über Mainz und den Rhein sogar die Niederlande erreichen. Ein angenehmerer Weg als die maroden Straßen war das allemal.

Im Fernverkehr löste das Dampfschiff ein Problem, das beim Treideln mit Zugpferden stets Verdruss bereitet hatte. Beim Treideln mussten die Pferde häufig das Ufer wechseln, etwa wenn die Mündung eines Nebenflusses den Weg versperrte. Das Dampfschiff mit seinem Tiefgang wiederum kam mit dem Flachwasser des Mains nicht gut zurecht. Als Lösung empfahl sich nun das Kettenschiff, zwar auch mit Dampf betrieben, aber bei weitaus geringerem Tiefgang.

Dampfpfeifen brüllten wie wild gewordene Kühe

In den 1880er Jahren erschien die neue Technik auf dem Main. Diese Schiffe hangelten sich an einer im Fluss liegenden Kette entlang. Mit Schleppzügen am Heck konnten sie immerhin fünf Stundenkilometer schaffen. Von Mainz bis Aschaffenburg reichte die Kette auf dem 1886 eröffneten ersten Abschnitt. Später gab es Verlängerungen bis nach Bamberg. Es war ein lärmendes Fahrzeug. Die Kette rasselte und dröhnte, wenn das Schiff sie vom Flussboden hob, über das eiserne Deck zum Antriebsrad schleifte und wieder in den Fluss sinken ließ. Dazu brüllten die Dampfpfeifen wie wild gewordene Kühe, wenn die Schiffe auf ihr Vorfahrtsrecht aufmerksam machten oder am Heimatort die Familie grüßen wollten. In allen Anliegerdialekten von Frankfurt bis Bamberg hieß das Kettenschiff denn auch „die Mainkuh“.

Auf dem Main konnte man Kettenschiffe noch bis in die 1930er Jahre sehen, aber ihre Bedeutung war geschrumpft. Da hatten die letzten Dampfschiffe schon den Motorschiffen Platz gemacht, und für flotte Fahrt sorgten längst die Schrauben. Befördert hat das auch die Mainkanalisierung am Ende des 19. Jahrhunderts. Sie hatte lange nur von Mainz bis Frankfurt gereicht. Die große Nachbarstadt im Westen wusste die Weiterführung zu blockieren. Sie wollte die aufstrebende Offenbacher Industrie zur Nutzung der Frankfurter Häfen nötigen.

Bis dahin kannte Offenbach nur einen Anlegeplatz am Isenburger Schloss. Dort lagerten Brennmaterial und Industriegüter einfach am Ufer. Um 1900 war das alles vorbei. Offenbach hatte einen Industriehafen, einen Maindamm und ein ins Wasser vorgeschobenes Ufer entlang der Mainstraße. Die Schiffe, die an der Stadt vorbeifahren, verbinden Rotterdam mit dem Balkan – ohne Dampf. Doch seinen Anfang nahm dies alles 1842 mit einem jubelnd empfangenen Dampfer ohne Schiffsschraube.