Teil 1/ Große Armut und noch größere Gastfreundschaft Offenbacher Jugendliche zu Gast bei Lakota-Indianern

Nach dem Aufstieg auf den Bear Butte bot sich den Jugendlichen der Ausblick über die Prärie. Foto: p

Offenbach (red) – Nach dreijähriger Pause haben sich am 24. Juli noch einmal zwölf Jugendliche und drei Gruppenleiter auf den Weg zu einem deutsch-indianischen Jugendprojekt in die USA gemacht. Seit 2004 bietet das Jugendamt der Stadt Offenbach (Jugendkulturbüro) in Kooperation mit „Arbeit & Leben Hessen“, dem Verein „Tokata-LPSG RheinMain“ und mit Unterstützung des Kinder- und Jugendplan des Bundes (BmFSFJ) diese Begegnung in den USA an. Sie findet zum letzten Mal statt – zum einen sind die Flugkosten nicht mehr bezahlbar, zum anderen sollen neue Schwerpunkte für die internationale Jugendarbeit gefunden werden.

Die Idee für den Austausch hatte mit dem Besuch eines indianischen Sozialarbeiters in Deutschland ihren Lauf genommen. Er zeigte sich begeistert von der musikpädagogischen Jugendkulturarbeit in Offenbach und wollte diesen Arbeitsansatz auch in die Pine Ridge Reservation in Süd-Dakota bringen. Mit der Spende von Instrumenten wurde kurzerhand eine Jugendbegegnung verbunden. Seither hatten bereits 100 Jugendliche aus Offenbach und Umgebung die Chance, die Kultur der Native Americans in Pine Ridge sowie einmal auch im Navajo-Reservat in Arizona kennen zu lernen und die Landschaften mit den faszinierenden Nationalparks zu erkunden. Auch kamen indianische Jugendliche und Nachwuchs-Künstler im Rahmen der Projektreihe immer wieder nach Offenbach.

Gewalt in der Familie kein Tabu mehr

Die Reise führte die Teilnehmer nun erneut nach Rapid City, Süd-Dakota. Nach einem Besuch des Journey Museums führte eine Tagestour ins Städtchen Sturgis. Hier hörte die Gruppe einen Vortrag der Lakota-Medizinfrau Josephine Fire Lame Deer, die Einblicke in die Lakota-Kultur und in die Unterdrückungsgeschichte der Native Americans gab, aber auch auf die traditionelle Rolle der Frau in der Lakota-Gesellschaft und die Vorstellungen von Kindererziehung einging. All diese Werte sind aufgrund der jahrhundertelangen Kolonialisierung und dem Leben in Armut und Ausgrenzung brüchig geworden. Längst sind auch Gewalt in der Familie und häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen zu beobachten – früher ein Tabu. Viele der Jugendlichen waren angesichts der authentischen Präsentation sehr ergriffen.

Die Gruppe machte sich am Abend noch auf den Weg, den 20 Autominuten entfernt liegenden Bear Butte zu besteigen. Dieser zählt für die Plains- und Prärieindianer zu den heiligsten Orten. Man kann die einst vulkanisch entstandene Erhebung zum Teil schon aus rund 100 Kilometern Entfernung sehen. Konnten die Natives den Berg erblicken, legten sie alle Waffen ab, um anderen Stämmen in Frieden zu begegnen, gemeinsam zu beten und an Zeremonien teilzunehmen. Auch heute ist der „heilige Berg“ Ort für zahlreiche Zeremonien, die allerdings durch Motorrad-Rallyes und Camper, Bier- und Bikerkneipen, Ölbohrungen und Open-Air-Konzertbesucher massiv gestört werden.

Nach eineinhalb Stunden war der 1.300 Meter hohe Gipfel nach Überwindung von 400 Höhenmetern Steigung erreicht. Belohnt wurde die Gruppe mit einem sagenhaften Ausblick über die Weiten Süd-Dakotas bis hin nach Nebraska, Wyoming und Nord-Dakota. Nach der Rückfahrt nach Rapid City war die Gruppe ein weiteres Stück in Geschichte und Realität des indianischen Amerikas eingetaucht.

Armut und Elend fernab jeder Klischees

Der Name Pine Ridge Reservation steht in den USA hauptsächlich für Armut und Elend, dagegen wird er von Touristen meist mit berühmten Lakota-Häuptlingen wie Red Cloud und Crazy Horse, mit dem letzten militärischen Massaker der US-Kavallerie in Wounded Knee, spektakulären Aktionen indianischen Widerstands und der Kultur der Prärieindianer, Powwows, Sonnentänzen und Schwitzhütten verbunden. Jenseits der Klischees münden hohe Arbeitslosigkeitsraten, extreme Armut und anhaltende rassistische Diskriminierung in Perspektivlosigkeit. Die höchste Säuglingssterblichkeitsrate der westlichen Welt, epidemische Ausmaße von Diabeteserkrankungen, geringe Lebenserwartung und signifikant hohe Selbstmordraten bei jungen Menschen sind einige traurige Folgen eines Lebens in Armut und kultureller Entfremdung.

Der Besuch bei einem Teenager-Selbstmord-Präventionsprojekt zeigte der Gruppe die ganze Bandbreite der Dramatik auf. Der Lakota-Indianer Henry Red Cloud zeigte mit seinem Projekt „Lakota Solar Enterprises – Red Cloud Renewable Energy“ aber auch, wie mit einfachen Mitteln Umwelt und auch die finanzielle Situation entlastet werden können. Red Cloud produziert Solar- und Windkraftanlagen, Strohballenhäuser und Häuser aus selbstfabrizierten Bausteinen. Bis zu 40 Prozent der Energiekosten können so eingespart werden.

Auch andere Reservatsbewohner versuchen, den extremen Belastungen mit selbst organisierten Projekten entgegenzuwirken. Frederick Cedar Face berichtete über seine Stiftung, die sich vor allem um die Rechte von Kindern, Senioren und Behinderten einsetzt. Die Gruppe wurde mit enormer Herzlichkeit und Gastfreundschaft empfangen und lernte dabei die traditionellen Werte und den eigentlichen Reichtum der Lakota-Kultur kennen: Respekt, Ehrlichkeit, Aufopferungsbereitschaft, Großzügigkeit, Mut. Durch die täglichen gemeinsamen Musikworkshops mit Lakota-Jugendlichen wurden Neugier, Offenheit und Respekt füreinander noch weiter gefördert.

Fortsetzung folgt.

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