Schornsteinfeger Wirth und seine Kollegen sind als Energieberater gefragt Habeck-Vorstoß bringt Dauerstress

Über den Dächern von Urberach übergab Karl-Heinz Dönges, der in Ruhestand geht, das Kehrgeschirr an Leon Pietsch, der seine Ausbildung abgeschlossen hat. Bild: privat

Urberach – Ein Schornsteinfeger muss viel mehr können, als nur den Kamin vom Ruß zu befreien. Die von Bundesumweltminister Robert Habeck entfachte Diskussion über das Aus von Öl- und Gasheizungen macht ihn als Energieberater zum viel gefragten Mann.

Leon Pietsch hatte Energieberatung schon in der Berufsschule auf dem Stundenplan stehen. Er absolviert seine Ausbildung bei Bezirksschornsteinfeger Roland Wirth, legt im Sommer seine Gesellenprüfung ab und übernimmt den Kehrbezirk Urberach von Karl-Heinz Dönges. Den verabschiedeten Chef Wirth und Nachfolger Pietsch nach 21 Jahren in den Ruhestand.

Der Neue stieg den Urberachern schon während seiner Lehrzeit aufs Dach oder zum Heizungsbrenner in den Keller hinunter. „Die Leute kennen ihn“, sagt Roland Wirth und meint zu Recht, dass es noch ein bisschen mehr sein darf: „Da herrscht ein Vertrauensverhältnis. Schließlich sind wir die Handwerker, die durchs ganze Haus gehen.“

Und dabei kaum Spuren hinterlassen. Doch dazu später...

Manche Kunden lassen Wirth und seine Männer sogar unbeaufsichtigt ins Haus. Kaum haben sie die Terminankündigung aus dem Briefkasten geholt, schreiben sie eine E-Mail: Der Schlüssel liegt dort und dort.

Die deutschen Privathaushalte stießen 2019 laut Statistischem Bundesamt 219 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) aus, mehr als zwei Drittel davon entfallen auf Heizen und Warmwasseraufbereitung. Diese 148 Millionen Tonnen sind zwar immer noch Gift für unseren Planeten, liegen aber um 15 Prozent unter dem Wert des Jahres 2000.

Öl- und Gasheizungen sollen verschwinden. Wirtschaftsminister Habeck fordert, dass schon vom nächsten Jahr an keine Heizungen mehr neu installiert werden dürfen, die nur mit fossilen Brennstoffen befeuert werden. „Mein Telefon klingelt pausenlos, sobald die Bundesregierung etwas Neues zum Thema Klimaschutz bringt. Die Leute sind total verunsichert“, hat Bezirksschornsteinfeger Wirth festgestellt. Sogar auf dem Weg zum Dachfenster oder vorm Heizkessel wird er angesprochen.

Denn viele wissen: Der Schornsteinfeger ist fast immer auch Energieberater. Roland Wirth und Leon Pietsch haben keine Patentrezepte zum Heizen der Zukunft parat. Zumindest keine, die ökologisch und ökonomisch 100 Prozent perfekt sind. Aber sie können ihren Kunden mit wertvollen Tipps weiterhelfen. Ein Beispiel: Die wenigsten Häuser, die vor 1980 gebaut wurden, sind wärmepumpentauglich. Immobilien dieser Altersgruppe machen aber rund 60 Prozent des Bestandes in Deutschland aus.

Jetzt auf die Schnelle eine funktionierende Öl- oder Gasheizung auszutauschen, ist nach Ansicht der Fachleute wenig sinnvoll. Wenn aber eine alte Anlage kaputt geht, könnte man einen Brennwertkessel der neuesten Generation installieren. Der kostet rund 15 000 Euro und arbeitet 30 Prozent günstiger als die aktuellen Modelle. In einem zweiten Schritt könnten Hausbesitzer eine Wärmepumpe – nochmal etwa 20 000 Euro – einbauen. Und dann hätten sie jene hybride Heizung, die wie von Habeck gefordert zu 65 Prozent mit nicht fossilen Brennstoffen betrieben werden.

Viele Handwerker klagen nicht nur über Bürokratie, sondern auch über fehlenden Nachwuchs. Roland Wirth ist deshalb froh, dass der Wechsel im Urberacher Kehrbezirk reibungslos über die Bühne ging. Heute muss ein Schornsteinfeger keine Angst mehr vor millimeterdicken Rußschichten im Gesicht haben. Heizungen arbeiten viel, viel sauberer als noch zu Wirths Lehrzeit.

In Urberach gibt es nur noch etwa 40 Häuser mit Kamin- oder Kachelöfen, die sehr häufig benutzt werden und dreimal pro Jahr gekehrt werden müssen. Was Roland Wirt nicht sonderlich schmerzt – im Gegenteil: „Dreck unter Fingernagel zeigt den Leuten: Der schafft noch was!“

Von Michael Löw