Gedenken an Reichspogromnacht am 9. November Jakys Reise in die Freiheit und Rosels in den Tod

Ein Brief von Jakys Oma in Deutschland an den Jungen, der in Palästina in Sicherheit war. Foto: p

Rödermark (red) – Zum 81. Mal jährt sich am 9. November die Reichspogromnacht, deren Ereignisse auch in Urberach und Ober-Roden eine Eskalation bei der Ausführung der Pläne der Nazi-Diktatur zur Entrechtung von Menschen jüdischen Glaubens und zur Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland und Europa markierten. Am Samstag, 9. November, um 17 Uhr besteht wieder Gelegenheit, der Opfer zu gedenken. In diesem Jahr wird die Gedenkveranstaltung in Höhe der ehemaligen Synagoge (Bahnhofstraße 39) beginnen. Von dort geht es zum Gedenkort Bahnhofstraße 18.

Begleitet wird das Gedenken von einer Jugendtheatergruppe, die aus Jugendlichen der Oswald-von-Nell-Breuning-Schule und anderer Schulen besteht. Die zwölf Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren werden von Oliver Nedelmann angeleitet. Sie spielen Teile einer Theaterperformance, die sie derzeit mit Nedelmann erarbeiten. Die Jugendtheatergruppe wurde initiiert von der Initiative Stolpersteine in Rödermark und beschäftigt sich mit dem Schicksal von Jugendlichen in Ghettos und KZs.

Im Mittelpunkt stehen die beiden großen Reisen, die Jaky und Rosel Hecht nach 1938 unternehmen mussten. Jaky führte seine Reise nach Israel, Rosel nach Maly Trostinec in den Tod. Die Rahmendaten sind original (auch die Postkarte von Jakys Großmutter), alle weiteren Textpassagen sind fiktiv.

Auszug aus dem Stück:

JAKY 17. April 1939. Mein lieber Jakob! Du wanderst morgen mit Gottes Hilfe nach Palästina aus, zum Abschied möchte ich Dir, mein lieber Enkel, noch einige Zeilen schreiben. Bleib immer thoratreu, und denke mit Liebe an deine Angehörigen, besonders an Deine liebe Mama und an Deine liebe Schwester Rosel. Schreibe uns immer, wie es Dir geht. Und wie die Reise war. Wir erwarten Deine Nachricht mit Sehnsucht. Reise in Frieden, der Allmächtige möge Dich auf geradem Wege leiten und führen, Amen. Sei Du mein lieber Jakob gegrüßt und geküsst von Deiner Dich liebenden Oma (siehe Abbildung)

JAKY 18. April 1939. Liebe Oma! Du siehst an der Briefmarke, dass wir es gut bis nach Italien geschafft haben. Kurz nach Abfahrt des Zuges in München gab es aber einen kleinen Zwischenfall. An der Grenze stoppte der Zug und es wurde gedroht, uns Kinder doch nicht aus Deutschland herauszulassen, weil wir am Münchner Bahnhof „Hitler verflucht“ hätten. Unser Heimleiter Isidor Marx konnte die Beamten aber beruhigen, und wir atmeten alle auf, als der Zug wieder anfuhr. Er befahl uns Kindern dann, alle Fenster zu schließen und ab sofort „kein Wort mehr zu reden“. Das haben wir dann auch artig befolgt, liebe Oma. Dein Jakob

JAKY 24. April 1939. Liebe Oma! Von da, wo ich jetzt bin, gibt es keine Postkarte. Alles ist anders, alles ist fremd. Ich verstehe die Sprache nicht, obwohl wir sie in Deutschland doch schon gelernt haben, und ich sehr fleißig war. Deutsch sollen wir nicht mehr sprechen. Zumindest nicht laut, sagt unser Heimleiter. Aber der Reihe nach: Fünf Tage waren wir auf dem Wasser. In Triest wurden wir eingeschifft, und in Haifa sind wir gelandet. Ich war vom ersten bis zum letzten Moment seekrank. Gestern sind wir im Jugenddorf angekommen. Es ist jetzt im April schon sehr warm. Wenn man die Wäsche aufhängt, trocknet sie sehr schnell. Dein Jakob

ROSEL Ich stehe in einer langen Schlange neben einem Schuppen, der die Aufschrift trägt „Schützet die Tiere“. Ich weiß nicht, wie viele Menschen vor und hinter mir stehen. Mama sagt, es sind Hunderte. Langsam werden wir in den Keller der Großmarkthalle geschoben. Über uns wird mit Obst und Gemüse gehandelt. Ich kann nicht mehr stehen. Ich schrecke auf. Name? Wie bitte? Wie lautet dein Name, brüllt der SA-Mann. Rosel Hecht. Geboren? Am 8. November 1925 in Ober-Roden. Ledig? Natürlich, ich gucke ihn empört an, ich bin sechzehn Jahre alt. Bei euch weiß man doch nie, sagt der SA-Mann und stempelt „evakuiert“ in meinen Ausweis. Am 8. November 1925 bin ich geboren, am 11. November 1938 nach der Reichskristallnacht musste ich Ober-Roden verlassen, und genau zwei Jahre später, 1941, wieder am 11. November müssen wir Frankfurt verlassen.

JAKY 24. April 1942. Liebe Oma! Vor genau drei Jahren bin ich hier im Jugenddorf Kfar Hanoar angekommen. Jeden Mittwoch schreiben alle Kinder Briefe an unsere Eltern, Großeltern, Geschwister, aber wir bekommen immer weniger Antworten. Hoffentlich geht es euch allen gut. Mir geht es sehr gut. Die Schule macht Spaß, die Arbeit im Garten und auf den Feldern macht Spaß, und mit den anderen verstehe ich mich prima. Wenn ich dir jetzt schreibe, liebe Oma, bekomme ich schon Heimweh, aber tagsüber ist es nicht da. Dein Jaky