Mit der Narrenkappe in die Sauna

Die große Bühne, die Boris Reisert als Solo-Büttenredner liebt, bleibt ihm zusammen mit seiner Frau Sandy zumindest dieses Jahr verwehrt. Foto: ziesecke

Ober-Roden – Zum dritten Mal wird ein Rödermärker Prinzenpaar eine zweite Amtszeit – wenn auch weitgehend ohne echte Narretei – regieren: Die noch nicht offiziell in Amt und Würden berufenen Prinz Boris I. und Prinzessin Sandy I., beide namens Reisert, wandeln zum einen auf den Spuren ihrer direkten Vorgänger, Prinz André I. und Prinzessin Annika I. (Pradel) und zum anderen auf denen von Christiane und Ottmar Köhler. Ihre Kampagne wurde 1991 wegen des Golf-Krieges gestoppt, erst 1992 ging es weiter.

„Überall nur leere Halle, die Fastnacht zweimal ausgefalle. Der Adventsmarkt findet auch nit statt – mir geht’s wie euch: ich hab’s jetzt satt!“ Diesen Reim des designierten Prinzen Boris im digitalen Adventskalender des „Dinjerhofs“ werden wohl die meisten seiner potenziellen Untertanen unterschrieben haben. Doch was bei einem „normalen“ Bürger „nur“ nervige Begleiterscheinungen seines täglichen Lebens sind, ist für Prinz Boris I. und seine erst vor Kurzem angetraute Prinzessin Sandy I. lebens-, wenn nicht gar überlebenswichtig: Denn was sind Regenten ohne einen gescheiten Herrschaftsbereich?

Jeder Rödermärker mit ein bisschen Freude an der Fastnacht kann den Frust der Reiserts nachvollziehen. Man freut sich über jeden Bekannten, den man irgendwo trifft und den man seit Wochen nicht gesehen hat. „En Owweräirer braucht nit viel, um glücklich zu sein: ein schönes Fest, die Gemeinschaft und gern mal ein’ Wein!“, reimt der Prinz weiter.

Besagten Wein wird’s aber weitgehend nur in den eigenen vier Wänden geben. Und die Absage der Fastnachtsaktivitäten überall in Rödermark trieb in der vergangenen Kampagne schon die merkwürdigsten Blüten. „Wahrscheinlich werde ich am Fastnachtssamstag, dem absoluten Höhepunkt des Owweräirer Karnevals, wie im vergangenen Jahr wieder mit meinem Vorgänger André mit der Narrenkappe in der Sauna sitzen“, hat Boris Reisert schon eine Alternative zum Rathaussturm. „Und die Frauen werden vielleicht wieder zusammen ein Gläschen trinken.“

Seine lustigste Erinnerung ans Jahr 2021: „Am Fastnachtsmontag haben wir nur in Familie eine kleine Sitzung in unserem Garten gemacht und am Fastnachtsdienstag im Schlafanzug morgens eine Polonaise um unsere Küchenzeile herum getanzt!“ Die kleine Nichte Ava, die Tochter von Prinzenbruder und Sitzungspräsident Sascha, hat zumindest schon mal Eintrittskarten gemalt für eine Mini-Reisert-Sitzung in diesem Jahr. An spontanen Beiträgen wird’s nicht mangeln. Die Familie Reisert ist schließlich berühmt-berüchtigt für prickelnde Büttenreden und -gesänge.

„Unsere Roben haben wir noch ungenutzt im Keller hängen. Nur für die Offenbach-Post haben wir sie heute hochgeholt und ich hab tatsächlich zum ersten Mal wieder die Narrenkappe auf“, bedauert der Prinz zutiefst. Am 13. November war das Geheimnis ums Prinzenpaar bei der Proklamation vor dem Ober-Röder Rathaus gelüftet worden. Niemanden hatte es so richtig überrascht, denn der frisch gebackene Prinz persönlich hatte sein Interesse in seiner Rede zur Turngemeinde-Galasitzung 2020 schon anklingen lassen. Das hatte der offizielle Prinzenpaar-Sucher und TG-Vorsitzende Karlheinz Weber natürlich gerne gehört.

Wie es ist, wohl noch ein zweites Jahr zu regieren, wollen Sandy I. und Boris I. von ihren Vorgängern lernen. Auch Prinzessin Annika und Prinz André, langjährige Freunde und Trauzeugen der Reiserts, können ein Lied davon singen; sie haben einfach weiter regiert. Was aus Sicht traditionsbewusster Karnevalisten nur konsequent ist. Denn corona-bedingt gab’s keine Einführung und damit auch keine Übergabe der Insignien. Nicht einmal den symbolischen Rathausschlüssel rückte Bürgermeister Jörg Rotter, selbst TG-Fastnachter mit Leib und Seele, raus.

So hilft dem wortgewandten (Lehrer-)Prinzenpaar nur die Vision für bessere Zeiten. Der Wunsch für die Zukunft heißt Tradition: alle Vereine zusammen zur Kerb, Adventszeit mit Weihnachtsmarkt, Fastnacht mit vollen Sitzungen, ein Waldfest im Schillerwald, ein ständig geöffneter Rodaumarkt, Sommergarten bei der TS und bei den Germanen.

VON CHRISTINE ZIESECKE