65-jähriger Rödermärker zu vier Jahren Haft verurteilt „Sie sind übergriffig und distanzlos“

Darmstadt/Rödermark – Am Montag hat die 10. Strafkammer des Landgerichts Darmstadt den Prozess gegen den Rödermärker D. beendet. Staatsanwältin Louise Gärtner hatte dem 65-Jährigen vorgeworfen, sich wiederholt vor seiner zum Tatzeitpunkt sechsjährigen Stiefenkelin entblößt, dabei sein Geschlecht manipuliert, dem Kind Pornosequenzen gezeigt und es genötigt zu haben, sein Genital zu berühren. Der Mann kassierte 2013 schon ein Urteil von viereinhalb Jahren Knast wegen Missbrauchs von sechs Mädchen. Jetzt verhängten die Richter und Schöffen unter dem Vorsitz von Jens Aßling wegen des Missbrauchs Schutzbefohlener vier weitere Jahre.

Den Charakter des Angeklagten beschreibt das Erlebnis, das eine Zeugin mit ihm hatte. Die 39-Jährige berichtete, wie D. ihr nach dem Ende ihrer kurzen Liaison mit dessen Quasi-Stiefsohn Szenen aus Pornofilmen mit der Anfrage sendete, welche Praktiken sie präferiere.

Andere Frauen hatten berichtet, D. habe ihnen Bilder seines Geschlechts geschickt, etwa auch eine zur Tatzeit 16-Jährige. „Ich will in Dich eindringen“, habe D. notiert. Der psychiatrische Gutachter Johannes Nagel erklärte, was einen älteren Mann dazu treibt, jungen Frauen Penis-Bilder zu senden: So agierten Charaktere mit einem fragilen Selbstwertgefühl, die eine Kompensation in „sexualisiertem Dominanzgebaren“ suchten.

Nagel hatte sich gegen eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Die Geschädigten hätte er nie wahllos kontaktiert, sondern immer aus seinem sozialen Umfeld rekrutiert. Deshalb handele er berechenbar.

Die psychologische Gutachterin Dr. Heike Küken-Beckmann attestierte den Aussagen der damals sechsjährigen Stiefenkelin Glaubwürdigkeit. Der Stein kam einst in Rollen, als das Mädchen einer Freundin vom Verhalten des Opas erzählt hatte. Allerdings: In der Befragung hatte das Kind ausdrücklich verneint, dass er von ihr verlangt hätte, ihn „an seiner Privatsphäre“ zu berühren.

Staatsanwältin Gärtner in ihrem Plädoyer: „Ich bin fassungslos, wie unbeeindruckt der Angeklagte hier sitzt“. Wie im ersten Prozess habe er sich als Opfer einer Verschwörung inszeniert. Die seelischen Folgen für das Mädchen ließen sich noch nicht abschätzen. Es habe einen Waschzwang entwickelt und im Schlaf Zähne runtergeknirscht. Gärtner forderte viereinhalb Jahre Gefängnis. Unter Berufung auf das Gutachten verneinte sie aber die Notwendigkeit einer Sicherungsverwahrung.

Rechtsanwältin Angela Gräf-Bösch wertete den Punkt anders. Die Vertreterin der Nebenklage sah ein stabilisierendes soziales Umfeld aufgelöst, „keiner glaubt ihm mehr, außer seiner Frau“. Weitere Taten könnten folgen. Auch Gräf-Bösch forderte viereinhalb Jahre Gefängnis und zumindest den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung.

Rechtsanwältin Astrid Zeidler war um ihre Rolle nicht zu beneiden. Der Angeklagte wirkte, als stritte er auch dann alles ab, wenn es Filmaufnahmen gäbe. Zeidler konstatierte, D. habe sich vor der Stiefenkelin nicht exhibitioniert, sondern ohne das Wissen umgezogen, von dem Kind beobachtet zu werden. Insbesondere der Stiefvater des Mädchens wolle D. hinter Gittern sehen. Kinder nähmen Schwingungen wahr, deshalb habe das Mädchen falsch ausgesagt.

Die Verteidigerin sprach von erheblichen Zweifeln, forderte Freispruch und musste sich in der Quadratur des Kreises üben. Falls das Gericht eine Haftstrafe verhänge, käme Sicherheitsverwahrung nicht in Frage: „Ich sehe keine Wiederholungsgefahr.“

Die 10. Strafkammer verhängte schließlich vier Jahre Gefängnishaft. Richter Aßling zu D.: „Ich weiß nicht, ob auch Sie das gleiche Gefühl hatten wie ich, sich einen Wiederholungsfilm anzusehen.“ Auch 2013 verurteilte Aßling den Mann. Der Richter sprach von einer großen Lebenslüge des D., der ewig von Verschwörungen rede: „Sie sind übergriffig und distanzlos“. Seine Stiefenkelin habe erzählt, der Opa D. habe ihr Pornofilme gezeigt, die ihm Freunde zugeschickt hätten. Nach der Beschlagnahmung seines Smartphones durch die Polizei habe D. erklärt, mit Freuden Pornofilme zu tauschen. „Das Mädchen dachte sich das also nicht aus“. Seine Familie sei zerbrochen, er sozial isoliert, „Sie werden also keine Möglichkeit mehr haben, sich Kindern zu nähern“. Sicherungsverwahrung sei eine Ultima Ratio.

Von Stefan Mangold