Nimmt man Postkarten aus Urberach und Ober-Roden von 1920 in die Hand, werden durchaus die imposanten Gebäude der Gemeinden und sogar eine Fabrik gezeigt, aber das Ganze hat doch einen dörflichen Charme. Den Postkarten aus den sechziger und siebziger Jahren ist die Idylle ausgetrieben: stolz werden Betonbauten und Wohnblocks präsentiert. Das Alte hat keinen Platz mehr. Heute würden Postkartengestalter wahrscheinlich alles daran setzen, die verbliebenen Fachwerkhäuser ins rechte Licht zu rücken und die grünen Ecken der Stadt zu betonen.
In diesen Spannungsfeldern spielt das Theaterstück „Mer pagge des“. Aber naturgemäß geht es im Theater nicht um die Geschichte von Beton und Asphalt, sondern um die Geschichten der Menschen aus Fleisch und Blut. „Wir erzählen Geschichte durch Geschichten; das ist Heimatkunde im besten Sinne. Im Jahr 1919 geht es los, im Jahr 2019 endet die Reise“, betonen Friederike und Oliver Nedelmann.
Das Theaterstück zeigt zwei Orte in der Mitte Europas und wie ein Jahrhundert seinen Stempel aufdrückt, wie die große Geschichte auch das Kleine gestaltet. Vor einhundert Jahren zwei Dörfer mit zusammen gut 5.000 Einwohnern, heute eine Stadt von fast 30.000. Leute kamen und gingen – in beide Richtungen nicht immer freiwillig: Juden, Heimatvertriebene nach dem 2. Weltkrieg, Gastarbeiter, die hauptsächlich in den sechziger und siebziger Jahren nach Deutschland kamen, und jene, die in den vergangenen Jahren aus Kriegs- und Krisengebieten in Deutschland Zuflucht suchten. Drei Herausforderungen (und da sind die Evangelischen und Hochdeutschsprecher noch gar nicht aufgeführt) und wie sie gemeistert wurden und werden.
Präsentiert werden 18 liebevolle Szenen voll Wärme, Nähe, Humor und Zärtlichkeit – und immer lebensbejahend nach vorne blickend. „Mer pagge des“ heißt nicht umsonst der Titel des Stückes. Und: Auch wenn der Titel anderes verheißt – das Stück ist auf hochdeutsch.