Geschichtswerkstatt organisiert Führung durch Offenbach Sichtbare und unsichtbare Erinnerung an die NS-Zeit

Barbara Leissing von der Geschichtswerkstatt führt eine Gruppe von Interessierten an Punkte in Offenbach, die durch die NS-Zeit eine besondere Bedeutung haben. Foto: Mangold

Offenbach (man) – Die Kunstgesellschaft Frankfurt und die Geschichtswerkstatt Offenbach hatten zur Führung durch die Stadt eingeladen. Zum Start am Isenburger Schloss erklärte Barbara Leissing, die die Führung leitete, die Arbeit der Geschichtswerkstatt.

Deren Thema liegt nicht in der gesamten Historie Offenbachs. Die Forschung der Mitglieder gilt vor allem der Zeit, als die Nationalsozialisten in der Arbeiterstadt am Main das Sagen hatten. Deshalb lautete das Thema „Sichtbare und unsichtbare Erinnerung an die NS-Zeit in Offenbach.“ Leissing blickte wegen des historischen Bauwerks, neben dem die Gruppe sich zum Start der Tour traf, dennoch auf die Epoche des Grafen Johann Philipp von Isenburg-Offenbach zurück, der die Einwanderung von Juden gefördert habe, „die hatten unter Johann Philipps Regentschaft mehr Rechte als in anderen Städten.“

Bücherverbrennung im Hof des Isenburger Schlosses

Im Hof des Schlosses veranstaltete die NS-Studentenschaft am 22. Mai 1933 die Bücherverbrennung, als Teil einer „Richard-Wagner-Feier“. Eine Veranstaltung, für die 4.500 Offenbacher sogar Eintritt bezahlten. Viele von ihnen warfen unter der Überschrift „Der Schund wird verbrannt“ wohl meist selbst gekaufte Romane von Thomas Mann oder Erich Kästner ins Feuer. Die Teilnehmer verstanden sich als Mitstreiter in einem „Aufklärungsfeldzug wider des undeutschen Geistes“. „Ekelhaft“, nennt das Barbara Leissing. Doch es wirkt auch grotesk, wenn Leissing erzählt, wie Pfarrer Weber von der Altkatholischen Kirche den Akt mit salbungsvollen Worten begleitete, vielleicht vor der Verderbnis der Jugend durch Kästners „Pünktchen und Anton“ warnte.

Stolperstein erinnert an Willy Eisenreich

Vor dem Schloss liegt eine von Studenten der Hochschule für Gestaltung kreierte Platte im Boden, die an die Bücherverbrennung erinnern soll. Der Text liegt unsichtbar für den Betrachter nach unten. Auf dem Weg über die Schloßstraße zur Berliner Straße stoppt Leissing vor dem Haus, in dem Willy Eisenreich wohnte. Ein Stolperstein erinnert an den ersten Vorsitzenden der Kommunistischen Partei in Offenbach. Eisenreich marschierte am 18. April 1919 mit 1.000 seiner Genossen zum Sitz des Volksrates in der Kaserne an der Bieberer Straße. Dort kam es zum Gemetzel: Die Reichswehr erschoss mindestens 17 Menschen. Der Rädelsführer überlebte zwar, verbrachte aber die folgenden acht Jahre in Haft, „wo er psychisch erkrankte“. Die Nazis bringen Eisenreich nicht in seiner Eigenschaft als Kommunisten um. Unter der Kategorie des „unwerten Lebens“ stirbt der Offenbacher am 24. April 1941 in der Gaskammer der Euthanasieanstalt Hadamar.

In der ehemaligen Synagoge ist heute das Capitol

Vor der 1916 gebauten Synagoge, in der heute das Capitol Theater residiert, erzählt Leissing von der sogenannten Reichskristallnacht am 9. November 1938, als der Mob der SA auch die Synagoge anzündete, die aber nicht niederbrannte. Das lag am NSDAP-Oberbürgermeister Helmuth Schranz, der dafür sorgte, dass die Feuerwehr freie Bahn bekam. Den Hintergrund erklärt Leissing. Die jüdische Gemeinde war zu der Zeit schon dermaßen ausgedünnt, dass sie das große Gebäude nicht mehr halten konnte. Die Stadt wollte es billig kaufen wollte – jedoch in einwandfreiem Zustand, ohne Brandschäden.

Chaim Tyson baut jüdische Gemeinde wieder mit auf

Die Historikerin Gabriele Hauschke-Wicklaus erzählt an der Stelle von Chaim Tyson, an den ebenfalls ein Stolperstein erinnert. Der aus Polen stammende Jude war mit einer deutschen Christin verheiratet. Tyson überlebte die Konzentrationslager von Buchenwald und Auschwitz, kam nach dem Krieg wieder zurück zu seiner Frau nach Offenbach und baute die jüdische Gemeinde wieder mit auf. Als Wink des Schicksals galt: Auf dem Dachboden der Synagoge lag die Thorarolle noch versteckt.