Wie blinde Menschen einen Einkauf erleben Markt-Tour mit allen Sinnen

Die Freiwilligen begleiten Sehbehinderte aus dem Tandemclub auf dem Wochenmarkt und kaufen mit ihnen ein. Bild: golebiewska

Offenbach – Sie können die Kartoffeln nicht sehen. Aber umso besser deren raue, erdige Haut fühlen. Ikram Alaamri und Gabi Bosten spazieren für ihren Einkauf über den Offenbacher Wilhelmsplatz. Das Besondere: Die beiden sind sehbehindert – und müssen sich im Gewusel des Marktes zurechtfinden.

Für die meisten Menschen ist der Gemüseeinkauf Normalität, dem Duo bereitet er Stress. „Es ist zu viel los. Allein müsste ich mich bei jedem Stand durchfragen“, sagt Ikram Alaamri. Sie ist von Geburt an blind und kann nur dunkel und hell sehen, Gabi Bosten nur auf einem Auge. Beide orientieren sich an Gerüchen, Geräuschen, der Beschaffenheit des Bodens. Tomaten und Erdbeeren abtasten, schmecken, das Rückgeld prüfen, am besten nicht stolpern – das ist anstrengend.

Doch heute ist alles anders. Die beiden werden auf ihrem Markt-Trip begleitet, dank einer Initiative des Tandemclubs für Blinde, Sehbehinderte und ihre Freunde. Mit dabei sind die Freiwilligen Anna Rosa Ciccone und Karola Tarrach. Sie wollen helfen – aber auch verstehen, auf welche Probleme Blinde im Alltag stoßen können.

Der Marktbesuch beginnt für die vier Frauen mit einer kleinen Runde um die Stände. Rosen, Patchouli, Lavendel, Erdbeeren oder Knoblauch – die Geruchsexplosion kitzelt Ikrams und Gabis Nasen. Die Mischung macht es schwierig, bestimmte Produkte genau zu identifizieren. Und genau dabei helfen die Begleiterinnen Anna Rosa und Karola: An jedem Stand beschreiben sie Äpfel, Orangen und Avocado. Genauso Lachsfilets, Eier, Wurst oder Käse. Augen scheinen jedoch nicht notwendig zu sein, um etwa zu erkennen, wie saftig und fruchtig eine Zitrone ist. Finger, Nase oder auch die Zunge leisten da eine ausgezeichnete Arbeit.

Auch Sehende können von Blinden lernen. Im Frankfurter Dialogmuseum ist Anna Rosa Ciccone bereits mit dem Thema in Berührung gekommen. Sie sagt: „Blinde haben einfach mehr Gefühl. Sie machen mehr mit ihren Sinnen.“ Die Freiwilligen versuchen selbst, sich auf ihren Geruchs- und Geschmackssinn zu verlassen. Die andere Perspektive kennenzulernen.

Ikram und Gabi bringen ihren Begleiterinnen zwischendurch bei, wie sie Münzen nur mithilfe der Finger erkennen, wie sich etwa eine Ein-Euro-Münze von einem 50-Cent-Stück unterscheidet. Ikram und Gabi haben ihre eigenen Tipps und Tricks, die sehenden Menschen gar nicht bewusst sind.

Das gilt auch für andere Lebensgebiete: Mit speziellen Applikationen auf dem Handy kann das Telefonieren für Blinde erleichtert werden – das erleben die Begleiterinnen an dem sonnigen Samstag selbst.

Es sind aber nicht nur praktische Tipps, die die Freiwilligen für sich mitnehmen. Der Marktbesuch ist auch eine Lektion in gegenseitigem Respekt. Und Anstoß dafür, mehr auf die Vielfalt der eigenen Sinne zu vertrauen. Auch Verkäufer und Verkäuferinnen tragen ihren Teil zum Erlebnis bei. Sie zeigen sich geduldig und lassen die Einkäuferinnen von Kirschen oder Knoblaucholiven kosten.

Am Ende des Besuchs sind die Tüten und die Bäuche voll. Der Einkauf wird mit einem duftenden Kaffee in einem gemütlichen Lokal gekrönt. Und wer die vier Besucherinnen beobachtet, könnte denken: Aus einem Wochenmarktbesuch wird schnell ein Fest. Vor allem für die Sinne.

Lust auf Ehrenamt

Der Marktbesuch mit Blinden war eine von vielen Aktionen am städtischen Mitmach-Tag. Wer sich sozial engagieren möchte, findet verschiedene Projekte auf der Seite des Freiwilligenzentrums Offenbach unter fzof.de/aktiv-werden/wo-kann-ich-was-tun/.

Von Sylwia Golebiewska