Ehrenbürgermeister Gerhard Schultheiß ist nun auch Nidderauer Ehrenbürger Das Diktiergerät stets zur Hand

Als fünfter Ehrenbürger der Stadt Nidderau erhielt Gerhard Schultheiß am Mittwochabend die goldene Ehrenmedaille, Anstecknadel und Urkunde von Stadtverordnetenvorsteher Jan Jakobi (rechts) und seinem Nachfolger Andreas Bär. Zum Ehrenbürgermeister war Schultheiß bereits während seiner Amtszeit im Jahr 2018 ernannt worden. Bild: J. Weber

Nidderau – Was macht eigentlich Gerhard Schultheiß? Diese Frage hat für die Nidderauer durchaus Relevanz – zumindest, wenn man den Gerüchten folgt, die der Ehrenbürgermeister anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt am Mittwochabend in der Willi-Salzmann-Halle in seiner Dankesrede humorvoll kommentierte. Angeblich hätten er und seine Frau Kerstin ja mehrere Häuser rund um den Globus. „Schön wär’s“, so Schultheiß. „Nächstes Jahr lebe ich 50 Jahre in Nidderau. Uns gefällt es hier, und wir haben nicht vor auszuwandern.“

Auch sonst gab der 60-Jährige vor den rund 200 Anwesenden zur Sondersitzung der Stadtverordneten unbekümmert Einblicke in sein Leben „nach dem Ende der Freiheitsberaubung“, wie er scherzhaft einen seiner Wegbegleiter zitierte. So habe er inzwischen den heimischen Garten umgestaltet und die Waschbetonplatten rausgeschmissen, die er nicht mehr habe sehen können. Eine Arbeit mit „Hand und Fuß“, die ihm als ehemaligem Wahlbeamten einige wohl nicht zugetraut hätten.

Zudem widme er sich neben dem Fliegenfischen nach vielen Jahren wieder verstärkt der Fotografie. So habe er dazu eine Afrika-Reise unternommen. Vor allem aber ist er für eine regionale Agentur bei Fußballspielen unterwegs – in der Bundesliga, aber auch in der Champions League und bei Spielen der Nationalmannschaft.

Zwei Tage pro Woche seien zudem fest für die Enkel eingeplant, die im August 2021 und im März dieses Jahres zur Welt gekommen seien. Die Familie und die Gesundheit in den Vordergrund zu rücken, sei auch der Beweggrund gewesen, nicht mehr für eine fünfte Amtszeit zu kandidieren und im Mai 2021 nach insgesamt 41 Jahren und achteinhalb Monaten aus dem Dienst der Stadt Nidderau zu scheiden. Wie wertvoll die Gesundheit ist, wurde der Familie schon kurz darauf durch eine ernste Erkrankung von Kerstin Schultheiß vor Augen geführt, die inzwischen zum Glück überwunden sei.

Die Dinge nicht zu schwer nehmen, sich auf das Wesentliche besinnen, das empfahl Schultheiß auch mit Blick auf die Spannungen in Nidderau. „Politik von Menschen für Menschen“ solle das Motto sein. Er sei nach Durchsicht des Pressespiegels seiner über 24-jährigen Amtszeit als Bürgermeister zu dem Ergebnis gekommen: Oft waren die emotionalen Debatten in der Rückschau nur ein Sturm im Wasserglas.

Sonst halte er sich als Altbürgermeister bewusst zurück, gebe Antwort, wenn er gefragt werde. Gerade mit Blick auf die aktuelle Situation in der Kommunalpolitik sei ihm bewusst, dass der einstimmige Beschluss der Stadtverordneten, ihm die Ehrenbürgerschaft zu verleihen, nicht selbstverständlich sei, weshalb er den Stadtverordneten ausdrücklich dankte. „Wir haben vorher darüber gesprochen, ob diese Ehrung der richtige Weg ist. Aber Bürgermeister Andreas Bär hat die Situation gut ausgelotet“, so Schultheiß.

Der größte Dank galt am Ende seiner Frau Kerstin und seiner Familie für die Unterstützung und das Verständnis in all den Jahren, ohne die ein solches Amt nicht auszufüllen sei. „Glück auf, Du schönes Nidderau!“

Den Dankesworten des neuen Ehrenbürgers waren zahlreiche Reden vorangegangen. Bürgermeister Bär schätzte sich glücklich, die Magistratsvorlage zur höchsten Auszeichnung der Stadt einbringen zu dürfen. Er würdigte die „protestantische Arbeitsethik“ und „gelebte Verantwortung“ in über vier Jahrzehnten im Dienst der Stadt. Im Jahre 1979 begann Schultheiß mit 16 Jahren die Ausbildung in der Stadtverwaltung und gelangte über das Liegenschaftsamt und ab 1984 im Hauptamt bis zur Wahl zum Ersten Stadtrat im Jahr 1996. Wenige Monate später wurde Schultheiß als erster Bürgermeister der Stadt direkt von den Nidderauern gewählt und danach dreimal wiedergewählt.

Projekte wie die Neue Mitte, die Umgehungsstraße, Baugebiete in allen Stadtteilen und viele Infrastrukturmaßnahmen sowie Kulturprojekte seien für immer mit Schultheiß’ Wirken verbunden, so Bär. Er habe das Amt mit voller Hingabe, Ernsthaftigkeit, Bescheidenheit, Respekt vor den Leistungen Anderer und nicht zuletzt auch einer Härte gegenüber sich selbst ausgefüllt.

„Wir brauchen heute nicht nur Heldinnen oder Helden, sondern vor allem Menschen, die sich dauerhaft mit Herz, Verstand, geradem Rücken und klarer Haltung für ihr Gemeinwesen einsetzen und Verantwortung übernehmen“, so Bär, der auch die Bürgernähe seines Vorgängers lobte, der beim Gespräch „auf der Gass“ sofort sein Diktiergerät gezückt habe, um Bürgeranregungen zu protokollieren.

Diese Eigenart nannten gleich mehrere Redner, ebenso wie Schultheiß’ legendäres Ordnungssystem mit Klarsichthüllen, Mappen und Gummiringen. SPD-Fraktionsvorsitzender Vinzenz Bailey würdigte Schultheiß’ Wirken im Geiste von Willi Salzmann und dem ebenfalls anwesenden Bernd Reuter zum Zusammenwachsen der Stadt. Gerade in der Flüchtlingskrise 2015 habe er mit seinem Wertekompass für die Kommunalpolitik eine verlässliche Richtschnur vorgegeben. Die SPD Nidderau könne sich auch heute noch auf ihn verlassen.

Grünen-Fraktionssprecher Tim Koczkowiak zeigte sich als Parlamentsneuling mit 21 Jahren absolut beeindruckt von der Amtszeit von 1248 Wochen, von denen wahrscheinlich keine auf 40 Arbeitsstunden beschränkt gewesen sei.

CDU-Fraktionsvorsitzender Thomas Warlich betonte, dass es über alle politischen Auseinandersetzungen hinweg wichtig sei, menschlich zusammenzustehen. Er wünschte Schultheiß und seiner Familie alles Gute, bedauerte jedoch auch, dass die Fraktion der Freien Wähler nach ihrem geschlossenen Rücktritt nicht anwesend sei.

Auch Stadtverordnetenvorsteher Jan Jakobi (SPD) erlaubte sich vor der Abstimmung einige persönliche Worte und betonte, dass Schultheiß in gut 50 Jahren Stadtgeschichte erst der fünfte Ehrenbürger sei.

Dr. David Rauber, Geschäftsführer beim Hessischen Städte- und Gemeindebund, würdigte die persönliche, fachliche und politische Leistung von Schultheiß, auch in überregionalen Gremien wie dem Finanzausschuss des HSGB. Als Bürgermeister einer der wenigen stetig gewachsenen Kommunen mit ihren infrastrukturellen Herausforderungen habe Schultheiß wichtige Erfahrungen und Perspektiven eingebracht, etwa in die Diskussion um die Reform des kommunalen Finanzausgleichs. Aus diesem Anlass hätten die Kommunalvertreter 2010 sogar in Wiesbaden demonstriert. Daran kann sich auch Rodenbachs Bürgermeister Klaus Schejna noch gut erinnern, der in Vertretung seines Erlenseer Amtskollegen Stefan Erb für die Bürgermeisterkreisversammlung sprach. Mit Sorge blickte Schejna auf die wachsende Aggressivität in den Sozialen Medien, auch gegenüber kommunalpolitischen Amtsträgern. Da sei Schultheiß einiges erspart geblieben. Bei allem Lob für den Ehrenbürger musste er jedoch einen Makel feststellen. Wer Fan von Bayern München sei, die wiederholt unverdient die Deutsche Meisterschaft gewonnen hätten, kenne keine wahre Leidensfähigkeit, womit der Eintracht-Fan Schejna seinen Parteifreund zu einem Spiel ins Waldstadion einlud.

Im Namen der über 180 städtischen Vereine und Institutionen sprach der Vorsitzende der Ostheimer Vereinsgemeinschaft, Reinhard Weider. Dass ein Usthemer in Windecken im Stadtparlament sprechen dürfe, sei vor 50 Jahren kaum vorstellbar gewesen, scherzte er. Schultheiß habe für die Vereine immer das Machbare im Auge gehabt, aber auch Grenzen aufgezeigt. Er sei auf Veranstaltungen und Festen immer ein gern gesehener Gast. Zudem ermutigte Weider Schultheiß dazu, die Bürger an seiner Fotokunst teilhaben zu lassen, etwa bei einer Ausstellung im Bürgerhof Ostheim.

Den auf der Bühne versammelten Gremienvertretern rief Weider zu: „Die aktuelle Situation wirft kein gutes Licht auf die Stadt. Nehmen Sie sich ein Beispiel an den Vereinen und finden Sie wieder zu einem guten Miteinander ohne persönliche Anfeindungen.“

Von Jan-otto Weber