Diese Grafik zur Bevölkerungsentwicklung ist entnommen aus dem Demographie Bericht 2030 der Bertelsmann Stiftung. Foto: p

(Bruchköbel/jgd) - Der aktuelle Streit um die Verwendung des Grundstücks an der Hauptstraße 113a lenkt den Blick auf den generellen Mangel an preiswerten Mietwohnungen. Besonders junge Leute, Familien mit Kindern, Alleinerziehende klagen seit Jahren über ihre Schwierigkeiten bei der Suche nach einer erschwinglichen Wohnung in Bruchköbel.

Die Stadt setzt seit 20 Jahren einseitig auf den Eigenheim- und Investorenwohnbau, hatte zur Jahrtausendwende den preiswerten Mietwohnbau der Baugenossenschaft komplett gestoppt.

Das Angebot an Sozial-Mietwohnungen wurde damals „eingefroren“. Die Folgen sind heute zu spüren. Es beginnt bei der Entwicklung der Einwohnerzahl.

Für Bruchköbel stagniert diese seit der Jahrtausendwende bei rund 20.500 Einwohnern, und soll bis 2030 sogar sinken, so der neueste Demographiebericht der Bertelsmann Stiftung. Auf den neuen Gewerbegebieten in Bruchköbel und Umgebung wuchsen inzwischen tausende Arbeitsplätze hinzu, aber die Berufstätigen finden ihren Platz zum Wohnen nicht in Bruchköbel.

Wohl aber in Bruchköbels Nachbargemeinden: In Nidderau, Erlensee, Langenselbold stiegen die Einwohnerzahlen, und sollen bis zum Jahr 2030 weiter steigen. Dies verdeutlicht unsere Grafik. Der Unterschied zu Bruchköbel: Die genannten Kommunen tun offensichtlich einiges dafür, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen, und entwickelten dazu auch ihre städtische Attraktivität.

Der Bertelsmann-Bericht zeigt auch: Bruchköbel ist seit 20 Jahren auf dem Weg, zu überaltern. Bis zum Jahr 2030 wird die einzige Altersgruppe, deren Anteil an der Einwohnerschaft noch zunimmt, diejenige über 65 Jahre sein. Die Anteile jüngerer Altersgruppen schrumpfen. Jüngere Mitbürger ziehen aus Bruchköbel weg, oder können hier gar nicht erst ankommen.

Diese Entwicklung widerspricht dem 2010 ins Leben gerufenen „Leitbild 2025“ der Stadt. In diesem Papier wurde Bruchköbel als familienfreundliche und moderne Kommune ausgerufen, die sich nach vorn entwickeln will.

Finden aber gerade junge Familien hier keine preiswerte Wohnung, bleiben derartige Ankündigungen Schall und Rauch. Darüber hinaus hat die Überalterung der Gesellschaft wirtschaftliche Folgen. Schleichend sinken Kauf- und Wirtschaftskraft, fehlen frische Ideen für „junge“ Geschäfte und Gastronomie.

Auch nimmt in einer älter werdenden Einwohnerschaft eine generelle Haltung des Beharrens auf dem Bestehenden zu – verständlich zwar, aber das macht es Verfechtern neuer und moderner städtischer Projekte schwer, etwas zu verändern. Die auf zehn Jahre gestreckten, völlig übertrieben negativen Diskussionen um die Innenstadterneuerung zeigten dies zuletzt beispielhaft.

Man darf folgern: Es reicht nicht aus, die Stadt zur tollen Einkaufs- und Erlebnisstadt auszubauen. Es müssen auch preiswerte Wohnungen zum Mieten her, die sich junge Familien leisten können.

Das derzeitige Parteiendrama um ein kleines Grundstück an der Hauptstraße zeigt, dass diese ganze Thematik in der Politik nicht wirklich angekommen ist.

Es ist bizarr: In einer Stadt, in der die vorhandenen Wohnungen zunehmend von Senioren belegt sind, kämpfen insbesondere die Oppositionsparteien wie die Löwen um weitere Seniorenwohnungen.

Dabei hätte das Thema des erschwinglichen Wohnens für alle, und insbesondere für Familien und „Starter“, politisches Potential. Denkbar als „Chefsache“ für die bald beginnende Amtszeit der neuen Bürgermeisterin, wie auch für das Parlament.

Immerhin gibt es dafür ein erfolgreich erprobtes Modell. Mit der Baugenossenschaft Bruchköbel waren bis zum Jahr 1999 rund 500 Wohnungen errichtet worden, die heute noch preiswertes Wohnen ermöglichen. Der Blick zurück, er könnte zugleich einer nach vorn sein.