Blick in die Geschichte der Aufzeichnungen von Anne Frank Biografie eines Tagebuchs

Thomas Sparr im Gespräch mit Mirjam Wenzel: Das Tagebuch der Anne Frank stand während der jüdischen Kulturwochen in der Deutschen Nationalbibliothek im Fokus. Bild: Faure

Nordend (jf) – Das Tagebuch von Anne Frank zählt zu den berühmtesten Zeugnissen eines jungen Mädchens im Versteck vor den Nazis. In der Deutschen Nationalbibliothek fand dazu während der jüdischen Kulturwochen ein Gespräch zwischen dem Autoren Thomas Sparr und der Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel, statt. Bei dieser Veranstaltung kooperierte die Deutsche Nationalbibliothek mit den S. Fischer Verlagen und dem Jüdischen Museum.

Ende Oktober erschien das Buch „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“ mit dem Untertitel „Biographie des Tagebuchs der Anne Frank“ von Thomas Sparr. Mit dem 2020 publizierten Buch „Todesfuge. Biographie eines Gedichts“ hatte sich Sparr bereits auf die Spuren des bekanntesten Gedichts von Paul Celan begeben. Nun steht Anne Frank im Fokus, genauer noch ihr Vater Otto Frank, der sich zeitlebens für das Tagebuch einsetzte. „So jemanden wünscht man sich als Sachwalter eines Buches. Er wahrte das Erbe“, sagte Sparr anerkennend.

Wie Paul Celans Gedicht erschien auch das Tagebuch der Anne Frank erstmals 1947. Celan auf Rumänisch, Frank auf Niederländisch. 1950 kam Franks Tagebuch in Paris und Heidelberg heraus. 1955 brachten Albert Hacket und Francis Goodwich-Hacket das Tagebuch als Theaterstück auf den New Yorker Broadway. „Es feierte rauschende Erfolge und machte auf das Buch aufmerksam“, erklärte Sparr. „Aber wann war denn die eigentliche Geburtsstunde des Tagebuchs?“, fragte Mirjam Wenzel. „Anne bekommt das Tagebuch zu ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 geschenkt. Das ist die erste Geburtsstunde“, sagte Thomas Sparr. Die jüdischstämmige Familie Frank emigrierte Ende 1933/Anfang 1934 nach Amsterdam. Knapp vier Wochen später musste sie im Hinterhaus untertauchen. Das Tagebuch endet am 1. August 1944. Das Versteck wurde verraten.

Als einziger der Familie wurde Otto Frank im Januar 1945 in Auschwitz befreit. Er hatte schwer krank überlebt, kam über Umwege Anfang Juni zurück nach Amsterdam. Erst Wochen später erfuhr er vom Tod seiner beiden Töchter Anne und Margot. Miep Gies und ein Mitarbeiter hatten nach der Verhaftung der Untergetauchten die achtlos auf dem Boden verstreuten Blätter aufgehoben und übergaben sie nun Otto Frank. Er fand zunächst nicht die Kraft, die Aufzeichnungen zu lesen. Doch später ordnete er sie. Es gab die von Anne niedergeschriebene erste Version A, eine von ihr überarbeitete Version B, eine von Otto Frank durchgesehene Version C. „Seit 1991 liegt nach einer Übersetzung von Mirjam Pressler eine Version D vor“, fügte Sparr hinzu. Das Tagebuch wurde in mehr als 70 Sprachen übersetzt, es gibt Filme und ein Graphic Diary.

Auch Fälschungsvorwürfe gibt es. Beispielsweise bezweifelte in den 50er Jahren eine Frankfurter Oberstudienrätin, dass eine 13- oder 14-Jährige solche Sätze schreiben könne und wandte sich an Otto Frank. Der zeigte ihr die Originalseiten. Seitdem war das Tagebuch Schullektüre. Es gab allerdings auch andere Auseinandersetzungen, die in Prozessen endeten. Nach dem Tod Otto Franks 1980 ist der von ihm 1963 gegründete Anne Frank Fonds alleiniger Vertreter der Rechte.

„Anne Frank hat geschildert, wie man gezwungen war, sich auf engstem Raum zu arrangieren. Drangvolle Enge ist mit unendlicher Fantasie verknüpft. Anne hat auch Figuren überzeichnet. Aber das Tagebuch ist kraft seiner literarischen Gestaltung ein historisches Zeugnis“, schlussfolgerte Sparr.