Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ zeigt ein fröhliches und leidendes Mädchen Lebensfreude trotz alledem

Shira Bitan (Anne Frank) vor der Geburtstagstorte – Vorspiel zur Mono-Oper. Foto: Faure

Ostend (jf) – Im rosafarbenen Shirt und mit kurzen Hosen sitzt Shira Bitan (oder ist es schon Anne Frank?) vor einer großen Geburtstagstorte. Zwei brennende Kerzen symbolisieren die Zahl 88 – so alt wäre Anne Frank am 12. Juni 2017 geworden, wenn sie überlebt hätte.

Im Keller des Atelierhauses in der Schwedlerstraße kommen nach und nach die „Geburtstagsgäste“, setzen sich an den Tisch im mit Luftballons und Girlanden geschmückten, weiß getünchten Raum.

Die ganze Gesellschaft wird noch weiter nach unten, in tiefer liegende, schmucklose, mit sparsamen Requisiten ausgestatte Kellerräume geleitet, wortlos, nur mithilfe von Gesten. Die Mono-Oper in 21 Bildern von Grigori Frid, 1972 in Moskau uraufgeführt, beginnt mit dem ersten Tagebucheintrag. Anne Frank feiert am 12. Juni 1942 ihren 13. Geburtstag. Shira Bitan hat sich umgezogen, trägt ein schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Schuluniform? Kleidung einer Museumswärterin? Das neunköpfige Mobile Beats Ensemble unter der Leitung von Pablo Druker begleitet die von Sopranistin Shira Bitan gesungenen Tagebucheintragungen musikalisch. Die Gäste ziehen mit Anne Frank von Raum zu Raum, Stühle gibt es nur wenige – aber die Zeit, in der man sich setzen könnte, ist ohnehin knapp.

In einer Stunde werden fröhliche, beunruhigende, schreckliche, einsame, traurige, sehnsuchtsvolle, hoffnungsvolle und belastende Tagebucheintragungen eindrucksvoll interpretiert. Während Shira Bitan das Finale beginnt: „Es scheint die Sonne, blau ist der Himmel, strahlend blau ...“, bringen Ensemblemitglieder Grabkerzen herbei, mehr und mehr. Sie bilden einen brennenden Halbkreis um die kniende Anne Frank. „Und nun weiß ich, dass Tapferkeit und Lebensfreude das Allerwichtigste bedeuten! Auf Reichtum und Ruhm kann man wirklich verzichten. Der Seelenfrieden kann jedoch nur für kurze Zeit verblassen, denn er wird wieder erwachen und uns ein Leben lang erfüllen mit Glück. Solange schauen wir ohne Furcht in den Himmel.“

Der letzte Ton ist verklungen, keiner rührt sich, wortlos und tief beeindruckt gehen die Gäste nach einer Weile die Treppe nach oben. Erst in diesen Räumen gibt es lang anhaltenden Beifall und Bravo-Rufe für diese Vorstellung.

Im anschließenden Gespräch erläutern Regisseurin Teresa Reiter, Karin Dietrich, Leiterin des Instituts für zeitgenössische Musik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Dirigent Pablo Druker und Sopranistin Shira Bitan Interessierten Hintergründe zur Mono-Oper, beantworten Fragen. „Mit dieser ungewöhnlichen Inszenierung wollten wir den Abstand, den es sonst zwischen Bühne und Publikum gibt, aufheben und gleichzeitig die Gegenwart nicht ausgrenzen. Den Schluss muss man aushalten“, sagt Reiter. „Die Musik steht in diesem besonderen Projekt nicht allein“, unterstreicht Druker. Es habe viel koordiniert werden müssen in diesen Räumen, denn Bitan kann in manchen Bildern den Dirigenten nur über einen Monitor sehen. Erstmals habe man in einem Keller gespielt, die Akustik sei nicht einfach.

Shira Bitan hat die Mono-Oper vor einiger Zeit bereits in ihrer Heimat in Israel gesungen, allerdings nur in Auszügen und einmal mit Klavierbegleitung. „Das ist ein großer Unterschied“, erklärt die erstaunliche Sopranistin.

Das Kellerlabyrinth im Atelierhaus in der Schwedlerstraße wurde mit den vier Aufführungen der Mono-Oper, ein Projekt von Atelierfrankurt, dem Jüdischen Museum und dem Institut für zeitgenössische Musik, erstmals bespielt. Die Vorstellungen gehörten zum Programm am ersten Anne Frank-Tag, den die Stadt zu Ehren ihrer berühmten Tochter an deren 88. Geburtstag veranstaltet hat – eine Kooperation des Dezernats für Integration und Bildung und der Bildungsstätte Anne Frank.

Ob die Mono-Oper noch einmal aufgeführt wird, ist ungewiss – geplant ist es jedenfalls nicht. Wohl allen Besuchern sind diese außergewöhnlichen Vorstellungen unter die Haut gegangen.