DVG: Ungerechtigkeit des Rentensystems führt zu Altersarmut/Frauen besonders betroffen „Erst angelockt, dann abgezockt“

Auf dem Podium sprechen (von links) Fred Freitag, Reiner Heyse, Kristin Kubanek und Reiner Korth über Altersvorsorge. Bild: Faure

Westend (jf) – „Rente? Interessiert mich doch jetzt noch nicht.“ Vielleicht war das der Gedanke, der die jungen Menschen davon abhielt, zur Fachveranstaltung Altersvorsorge des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) auf den Uni-Campus Westend zu kommen. Die Wege wären kurz gewesen. Und es hätte sich gelohnt, denn im deutschen Rentensystem liegt viel im Argen, eine Reform ist dringend notwendig, aber leider nicht in Sicht. Da braucht es einen langen Atem.

Thomas Hintsch, Mitgründer des 2015 ins Leben gerufenen DVG, begrüßte die Gäste und stellte die Referenten vor. Als erster sprach Reiner Heyse, der 2015 den Verein Seniorenaufstand, der nun Renten-Zukunft heißt, gründete. Heyse unterstrich: „Nicht nur die Senioren müssen aufstehen, die jungen Leute auch.“ Denn Altersarmut ist eine reale Gefahr. „2021 lag der Armutsgefährdungsbetrag bei 1148 Euro. Wer weniger im Geldbeutel hat, ist schlecht dran. Die Armut der Rentner nimmt zu, auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung“, verdeutlichte Heyse mithilfe von Tabellen. Eine davon zeigte das Rentenniveau in 22 europäischen Staaten. Platz eins belegt Ungarn, dort beträgt die Nettoersatzquote vom Durchschnittslohn 94 Prozent, in Österreich (Platz fünf) sind es 87,4 Prozent, in Deutschland (Platz 19) nur noch 52,9 Prozent. Der Beitragssatz beträgt 18,6 Prozent. „Das Rentensystem ist ein Gradmesser, wie viel einer Gesellschaft ihre alten Menschen wert sind“, stellte Heyse fest. Kein gutes Zeichen. „In Österreich wurde das Rentensystem erfolgreich umgestellt. Seit 1988 liegt der Beitragssatz bei 22,8 Prozent, davon zahlen die Arbeitgeber 12,55 Prozent. Das Umlagen finanzierte System garantiert ein hohes Rentenniveau. In Deutschland ist nichts garantiert. Im Gegenteil, das Rentenniveau wird garantiert weiter sinken“, erklärte der Experte.

Und nun? Eine Rentenreform, die diesen Namen auch verdient, muss her. Aber wie soll das gehen? Da lohnt sich der Blick in die benachbarte Alpenrepublik: Mit der festen Rentenanwartschaftssteigerung von 1,78 Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens wird die Rente in Österreich fest an die Lohnentwicklung gebunden. Diese Kopplung ist 1990 in Deutschland beseitigt worden. Das System der Entgeltpunkte, ein kompliziert zu berechnender und zu manipulierender „aktueller Rentenwert“ sowie eine Rentenanwartschaft von einem Prozent (2022) der jährlichen Bruttoeinkommen sprechen gegen Deutschland.

„Die Kosten müssen gesenkt werden.“ „Die Alten plündern die Jungen aus.“ „Jeder muss selbst vorsorgen.“ Solche Schlagzeilen sind verlogen: Denn etwa 20 Prozent der Ausgaben der allgemeinen Rentenversicherung (2021) werden für versicherungsfremde Leistungen ausgegeben; Pensionen für Beamte und Politiker, berufsständisch Versicherte und Selbstständige. Die Lösung: Eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen und in der alle grundsätzlich gleich behandelt werden. Eine Mindestrente, die Altersarmut verhindert, also derzeit bei 1200 Euro netto liegt (und nicht wie gegenwärtig bei 800 bis 900 Euro).

Kristin Kubanek beschäftigt sich seit 2017 mit Finanzen und besonders mit dem Thema Frauen und Geld. „Die Meisterinnen der Haushaltsführung werden zu Verliererinnen der Rente“, sagte sie. Frauen verdienen immer noch 20 Prozent weniger als Männer, im Rentenalter wird die Differenz noch bitterer – dann erhalten sie durchschnittlich 50 Prozent der Rente eines Mannes. „Das Thema Geld müsste bereits in der Schule behandelt werden, es ist lebenswichtig“, forderte die Finanzfachfrau.

Thema waren ebenfalls die Risiken bei der betrieblichen Altersvorsorge: „Die betriebliche Altersvorsorge ist ein Geschäftsmodell, die Riester-Rente ist krachend gescheitert, die angekündigte Aktienrente ist einfach nur ein Abenteuerprojekt, das nicht ein Problem der Rentenversicherung löst“, bemerkte Reiner Korth, Bundesvorsitzender des DVG. Es gibt noch viel zu tun, um wenigstens einigermaßen Rentengerechtigkeit herzustellen. Und das geht früher oder später alle an.

Kommentare

Rente in Deutschland

Bravo, der Text beschreibt die Situation sehr realitätsnah was mir zeigt, dass sich in der Regierung etwas ändern muss. Was fehlt ist eine Partei, die die Interessen der 21 Millionen Rentner und Senioren würdig vertreten tut. Und natürlich ist das nicht nur ein Thema der Älteren, denn die Jüngeren wollen doch später schließlich auch einmal gut versorgt sein, oder etwa nicht?