Erinnerung an 85 Jahre Novemberpogrom/Aufklärung und Besonnenheit sind jetzt wichtig „Nicht nur die Synagogen brannten“

Ina Hartwig (von links), Renata Berlin, Herbert Mai, Mirjam Wenzel und Marc Grünbaum beim Podiumsgespräch. Bild: Faure

Frankfurt (jf) – Mit einer szenischen Lesung begann die Veranstaltung, eine Kooperation des Fördervereins des Fritz Bauer Instituts mit der Katholischen Akademie Rabanus Maurus. Daniela Kaltscheuer von der Akademie begrüßte die Gäste im Giebelsaal des Hauses am Dom. Im Vorfeld des 9. November wurde an den düsteren 85. Jahrestag der Pogrome erinnert. Dieter Wesp, Stadthistoriker und Stadtführer, hatte die Texte aus dem Buch „… dass wir nicht erwünscht waren“ zusammengestellt. Der Schauspieler Jochen Nix trug die Erinnerungen unter anderen von Ephraim Wagner, Dorothy Baer, Alice Oppenheimer und Bernhard Natt vor.

Bereits um drei Uhr morgens hatten die Vorbereitungen auf das Pogrom am 9. November 1938 begonnen. Später, als Synagogen brannten, jüdische Geschäfte zerstört und geplündert wurden, gab es nur wenige Menschen, die entsetzt waren über solch unvorstellbaren Vandalismus. „Was sich in der Stadt abspielte, war unbeschreiblich“, erinnerte sich die Zeitzeugin Alice Oppenheimer. Im Verlauf der nächsten drei Tage wurden in Frankfurt 3000 Männer verhaftet und in die Festhalle gebracht. Bernhard Rosenthal, amtierender Leiter des jüdischen Krankenhauses in der Gagernstraße, entzog sich der Festnahme, indem er den Freitod wählte.

Die in der Festhalle zusammengetriebenen Männer waren der Willkür schutzlos ausgeliefert, erlebten einen Gruppensadismus besonderen Ausmaßes. 2621 Männer wurden anschließend ins KZ Buchenwald, 534 ins KZ Dachau deportiert. Bedingung für eine Entlassung aus den KZ war Verkauf von Eigentum, das Vorweisen von Ausreiseabsichten und eine Unterschrift zur Verschwiegenheit.

Nach der Lesung debattierte das Podium, dem Kulturdezernentin Ina Hartwig, Renata Berlin von der Initiative 9. November, Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums, und Marc Grünbaum aus dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde angehörten. Herbert Mai, Vorsitzender des Fördervereins des Fritz Bauer Instituts, moderierte.

„Wir sind entsetzt über das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel und trauern um die Opfer“, wandte sich Berlin der aktuellen Situation zu. Die ehrenamtlich arbeitende Initiative 9. November hat mit Unterstützung der Stadt eine Aufschrift am Bunker der ehemaligen Synagoge in der Friedberger Anlage entfernt und stattdessen die von der Hamas überfallenen Ortsnamen von vier Kibuzzim angeschrieben. „Wir müssen vorsichtig mit Vergleichen sein, das ist schwierig“, sagte Grünbaum. Man dürfe nicht Geschehnisse miteinander vergleichen, die nicht vergleichbar sind. „Der Holocaust ist singulär“, unterstrich Hartwig. Wir sollten besonnen bleiben und nicht geschichtsvergessen.

„Meine Arbeit fühlt sich nach dem 7. Oktober anders an. Selbstverständlich sind wir weiter politisch bildend tätig. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden massiv erhöht“, äußerte Wenzel. „Wer schützen will, braucht einen kühlen Kopf“, sagte Hartwig, „den müssen wir bewahren.“ Es gehe darum, Geschichte anschaulich zu vermitteln, das Verständnis von Geschichte zu fördern. „Die Jugend informiert sich heute anders. Wir brauchen gute Argumente auf allen Kanälen, um sie zu erreichen“, warf Wenzel ein. Grünbaum wandte sich gegen die Ausgrenzung jüdischer Schüler. „Da müssen Lehrer reagieren“, forderte er. Für Pädagogen, die nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen, müsse es entsprechende Anleitungen geben. Hartwig verwies auf die Worte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer: „Es gibt kein christliches, kein jüdisches, kein muslimisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut.“