Seniorenhilfe Obertshausen feiert mit Walter Renneisen Neujahrsempfang Die Kunst des Energiespardialekts

Der Hessendeuter im Pfarrsaal: Walter Renneisen erklärt auf der Obertshausener Bühne das Wesen eines speziellen Volksstammes und die Großartigkeit seiner Zischlaute. Bild: gerth

Obertshausen – Sicherheitshalber wies Hildegard Ott noch mal darauf hin, „dass ich keine Hellseherin bin“. Denn wie das gerade begonnene Jahr verlaufen werde, vermag auch die Vorsitzende der Seniorenhilfe Obertshausen nicht zu sagen. Was sie und ihr Verein aber leisten können, haben sie am Mittwochabend im Pfarrsaal St. Thomas Morus bewiesen: Inmitten dieser krisengepeitschten Zeiten einen Abend mit viel Humor zu veranstalten.

Und das war genau das, wonach sich die 160 Besucherinnen und Besucher beim Neujahrsempfang des Vereins offenbar gesehnt hatten: endlich mal wieder herzhaft lachen. Dafür Walter Renneisen einzuladen, war eine Meisterleistung des Vereins. Der mittlerweile 83 Jahre Schauspieler mit Wohnsitz in Auerbach an der Bergstraße mischte in seinem kabarettistischen Programm „Hessisch für Fortgeschrittene“ Dialektkunde und eine ironische Betrachtung auf den Volksstamm der Hessen, die der römische Geschichtsschreiber Tacitus so beschrieben hatte: „Das Volk ist von härterem Körperbau, hat straffe Glieder, trotzigen Blick und größere Lebhaftigkeit.“

Renneisen rast ohne Pause durch sein Programm, er spielt dazu Trompete, Klavier, Ukulele – und selbstverständlich auch Kontrabass. Das Musikinstrument, nach dem Patrick Süskind sein monolo gisches Theaterstück benannt hat. Renneisen wird wie kaum ein zweiter Schauspieler damit verbunden. Wie oft er mit „Der Kontrabass“ aufgetreten ist, wird er selbst kaum noch wissen.

Am Mittwoch doziert er über unwiderstehliche hessische Bedeutungslehre von Weisheiten wie „Ohne Hirn is mer wie bleed“ und über die einzigartige Zischlautsprache, die Satzkonstellation ermöglicht wie diese: „Ich lieb’ disch arsch.“ Darauf, so Renneisen, „kann jeder in Deutschland nur neidisch werden.“ Hessisch erfordere beim Sprechen keinerlei Muskelarbeit, es sei daher ein Energiespardialekt, bei dem keinerlei CO2 ausgestoßen werde. Zum Vergleich: „Bei Schweizern weiß man nicht, mit welcher Körperöffnung sie mit uns sprechen.“

Renneisens Programm ist mehr als volkstümlicher oder gar zotiger Wirtshaushumor. Die Rezitation von Goethes Gedicht „Wanderers Nachtlied“ macht er zu einem zwanzigsekündigen Kammerspiel. Und als er den Mundartklassiker „Sitzt e Wärmsche uff’m Tärmsche mirr’em Schärmsche unner’m Ärmsche“ anstimmt, murmelt der Saal mit, „wie beim Vaterunser in der Kirche“, wie Renneisen lobt.

Es gab auch ein Kurzseminar in Sachen „guter Witz“, der vor allem eines brauche: eine Fallhöhe, also eine Überraschung. Renneisen muss auch seinem Ärger über die verhunzte deutsche Sprache Luft verschaffen, damit meint er keineswegs das Gendern. Sondern englische Begriffe wie „Service Point“, sinnlose Wortschöpfungen wie nichtsdestotrotz oder Unsinn wie „die Seele baumeln lassen“. Denn gebaumelt hatten einst diejenigen, die an Bäumen aufgehängt worden sind.

2014 lud die Stadt Obertshausen zum letzten Neujahrsempfang ins Rathaus, danach wurde aus Kostengründen auf so einen zwar würdevollen, aber meist langatmigen Akt verzichtet. Wenn man so will, hat die Seniorenhilfe diesen Part übernommen – und wenn sie daraus weiterhin so einen Abend der entfesselt guten Laune machen, dann braucht es wirklich keinen Ersatz.

Zumal Obertshausens Bürgermeister Manuel Friedrich (unabhängig) auch gekommen war, und sich wohl kaum erinnern kann, gerade in diesen schwierigen Zeiten mal anderthalb Stunden lang von derartig guter Laune umgeben gewesen sein. Leicht erschöpft auch vom eigenen Frohsinn lobt das Stadtoberhaupt den Empfang der Senioren „als kulturelles Highlight zu Beginn des neuen Jahres“.

Bleibt noch ein schöner Renneisenwitz: „Fragt ein Mann den anderen: Sind Sie derjenige, der meinen Sohn aus dem Main gezogen hat? Ja! Und wo is sei Kapp?“

Von Steffen Gerth