Stadt lässt Neujahrsempfang wieder aufleben / Bruder Paulus zu Gast „Versöhnung mit dem Neuen“

Bruder Paulus Terwitte folgte der Einladung zum Rödermärker Neujahrsempfang. In seiner Rede befasste er sich mit den Themen Neuanfang, Wandel und Veränderung sowie mit dem Umgang dieser. Bild: stadt Rödermark

Rödermark – Die Stadt Rödermark hat die Tradition des Neujahrsempfangs nach einer Unterbrechung von sieben Jahren wieder aufleben lassen. Protagonist des kurzweiligen Abends mit rund 400 Gästen, geladenen und kurzentschlossenen, war Bruder Paulus Terwitte, Deutschlands wohl bekanntester Ordenspriester.

Der Kapuzinermönch beeindruckte mit seiner emotionalen Ansprache, in die er Bezüge zu Rödermark einflocht und zugleich ein Bekenntnis zum „Wir“ ablegte. Bürgermeister Jörg Rotter bat ihn hinterher, sich ins Goldene Buch der Stadt einzutragen. Zur Begrüßung hatte Rotter mit einer Rede zu den Worten „Werte“, „Kompass“ und „Fundament“ eine thematische Brücke zu Bruder Paulus geschlagen, wie sich später zeigte. Für die musikalischen Impulse zuständig waren der an der Musikschule Rödermark unterrichtende Saxofonist Gerhard Wiebe. Am Ende lieferte noch ein halbstündiges Konzert eine Allstar-Formation des MV 06 aus Urberach sowie der Musikvereine 03 und 08 aus Ober-Roden unter der Stabführung von Dieter Weis.

Im Restaurant der Kulturhalle hatte Bruder Paulus vor dem Empfang noch eine Kleinigkeit gegessen und einen Tee getrunken – und war mit einem Rödermärker ins Gespräch gekommen, einem „Endlisch Musigger“, einem Mitglied des preisgekrönten Orchesters des Musikvereins 08 Ober-Roden, in dem sich Menschen zusammengefunden haben, die in schon höherem Alter neu oder nach vielen Jahren wieder angefangen haben, zu musizieren. Das war der rote Rödermärker Faden, den Paulus Terwitte in seinem Vortrag immer wieder aufnahm. Der Geistliche schlug den Bogen zwischen Neuanfang, Wandel, Veränderung und der Umgang damit in einer sich stetig verändernden Welt, in der ein kräftiges „Ja zum Wir“ den Einzelnen auffängt.

Neu anfangen, so Bruder Paulus, sei „schön, aber auch schwierig“. Man wünsche sich Neues, aber „wenn es dann kommt, dann ist es uns doch nicht so ganz recht“. Fünf Reaktionen könne man unterscheiden – gefordert seien aber nicht Verleugnung, Aggression, Depression oder Verhandeln, sondern die Versöhnung mit dem Neuen. „Die Wandlung ist das Menschengeschäft“, betonte Bruder Paulus. Im Ja zum Wandel ergebe sich das Wunder des Miteinanders, „dass wir füreinander geschaffen sind“. Der Mensch sei nicht Opfer des Geschehens. „Wir sind Täterinnen und Täter der Freiheit, die einen Blick dafür haben, dass sie die Aufgabe haben, das, was geschieht, und das, was da ist, zu würdigen, wertzuschätzen und zu einem Miteinander zu führen, das uns miteinander dient.“ Gefordert sei dabei nicht der weichgespülte Dialog. Es brauche auch den Konflikt und Mut, den Mund aufzumachen. Es gelte, miteinander zu streiten, „aber für ein besseres Miteinander“.

Mit einem Sozialdemokraten, dem 2019 verstorbenen ehemaligen Bundestagsabgeordneten und Minister Erhard Eppler, leitete Bürgermeister Rotter seine Rede ein. „Wer heute versucht, etwas Bewahrenswertes zu bewahren, der muss schon fast ein Revolutionär sein.“ Dieser Ausspruch lasse sich als Aufforderung interpretieren, „den gewaltigen Fliehkräften unserer modernen Welt zu trotzen und einen elementaren Kern von dem zu erhalten, was unser Zusammenleben ausmacht“. Vor diesem Hintergrund habe Eppler den Begriff „wertkonservativ“ geprägt und all das benannt, „was aus seiner Sicht für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft unverzichtbar ist,“ sagte Rotter.

Ein Teil Rotters Rede befasste sich mit der Extremhaltung, die die moderne Zeit präge. Diese sei nicht hilfreich, „sondern kontraproduktiv, betonte er. „Wer sich apathisch ins Schneckenhaus verkriecht und glaubt, er könne mit Desinteresse und Ignoranz im toten Winkel überwintern, handelt gesellschaftlich unverantwortlich.“ Wer andererseits seinen Frust zu Hass und Gewalt anwachsen lässt, „leistet auch keinen konstruktiven Beitrag. Nein, viel schlimmer: Er oder sie wird zur Brandgefahr für das soziale Miteinander in unserer Gesellschaft“.

Auf die Probleme der Gegenwart und der Zukunft gebe es keine universelle Antwort. Rotter verdeutlichte: „Nein, keine Kraft, die sich eine Monopolstellung anmaßt, wird sie liefern können. Und noch einmal nein, und ganz entschieden nein: Solch eine Konstellation, in der anti-demokratische und diktatorische Elemente aufblitzen, bekommt niemals unseren Beifall, sondern ein kollektives ‚Stopp’ zu hören!“
 yfi