Entdeckungen in einem ehemaligen Arbeiterviertel Johanna Tesch und der Riederwald

Bruni Marx (Dritte von links) und Marie Menke (Vierte von rechts) mit Interessierten an der U-Bahnstation Johanna-Tesch-Platz. F. : jf Bild: -

Riederwald (jf) – „Was macht denn unser Feld, wie steht es mit der Kartoffelernte? Habt ihr schon Spätkartoffeln heraus gemacht?“, schrieb Johanna Tesch vor 104 Jahren an ihren Mann. Sie war eine der ersten 37 weiblichen Abgeordneten, die 1919 in die Deutsche Nationalversammlung gewählt wurden und vertrat dort die SPD.

Die Nachbarschaftshilfe der Hochhäuser in der Inheidener Straße hatte kürzlich auf Initiative von Marie Menke zu einem Spaziergang durch den Riederwald eingeladen. Der Fokus lag dabei auf Johanna Tesch. Die Stadtteilhistorikerin Bruni Marx hatte sich eingehend mit der Politikerin und ihrem Umfeld beschäftigt und ein Buch herausgegeben. Sie führte die Gruppe durch das Viertel, denn Familie Tesch lebte seit 1911 im Riederwald.

Treffpunkt war die U-Bahnstation Johanna-Tesch-Platz. Seit 1995 trägt der Platz zwischen Theodor-Haubach-Weg, Raiffeisenstraße und Max-Hirsch-Straße den Namen der Sozialdemokratin. Bruni Marx hatte einen Riederwaldplan dabei: „1909 hat der Volks-Bau- und Sparverein den Grund von der Stadt erworben. 1911 wurden die ersten Häuser bezogen.“ Zu den ersten Bewohnern gehörten Johanna und Richard Tesch mit ihren Söhnen Friedrich, Wilhelm und Carl. Sie hatten ihr zweites Domizil im Riederwald in der Max-Hirsch-Straße 32 (heute Am Alten Volkshaus 1).

„In den 1970er-Jahren wollte man die alten Häuser alle abreißen. Die Riederwälder wehrten sich dagegen. Der Kompromiss sind einige Hochhäuser vorne am Erlenbruch und die Sanierung von Siedlungshäusern“, erklärte Bruni Marx.

1925/26 entstand das Torhaus Schäfflestraße, 1928 wurde die heutige Pestalozzischule errichtet. 1926 kamen unter dem damaligen Stadtbaurat Ernst May neue Siedlungshäuser hinzu. „Da gibt es allerdings noch viel zu sanieren, das wird sicher nicht alles bis zum 100-jährigen Jubiläum fertig“, bemerkte die Stadtteilhistorikerin.

In der Karl-Marx-Straße fallen grüne Aufkleber auf dem Boden auf, sie verweisen auf das autonome Fahren des On-Demand-Shuttles von November 2022 bis Juli 2023. Ein Zukunftsprojekt.

2019 wurden zwei kleine Plätze in der Nähe der Philippuskirche nach Cäcilie Breckheimer und Marie Juchacz benannt, eine späte Ehrung für Breckheimer, die in Auschwitz ermordet wurde, und Juchacz, die mit Johanna Tesch zu den ersten weiblichen Abgeordneten gehörte.

Während Juchacz 1941 die Flucht von Marseille nach New York gelang, wurde Johanna Tesch am 22. August 1944 in der Aktion Gitter (nach dem misslungenen Hitlerattentat) verhaftet und ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingewiesen. Dort starb sie an Hunger und Entkräftung am 13. März 1945 im Alter von fast 70 Jahren. Ihr Mann erfuhr erst im Juli von ihrem Tod.

Eine 1995 angebrachte Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus der Familie Tesch erinnert an die Parlamentarierin, die sich für Hausangestellte und Dienstboten einsetzte und erste Organisationen für sie und mit ihnen gründete.

„Es gibt 278 Briefe und Postkarten der Eheleute Tesch aus den Jahren 1919 bis 1924, als Johanna Tesch als Abgeordnete in der Deutschen Nationalversammlung tätig war. Eine interessante Dokumentation“, ergänzte Marie Menke, die eigentlich noch einige Stellen aus dem Band vortragen wollte. Doch das wurde vertagt, dazu trifft man sich noch mal extra.