Podiumsdiskussion zur Mietexplosion Mieter im Ostend zwischen Verzweiflung und Widerstand

Bernd Hausmann (von links), Andrea Mösgen, Inken Martin, Conny Petzold und Björn Egner im Podium. Foto: Faure

Ostend (jf) – Das Gemeindehaus der Kunst-Kultur-Kirche Allerheiligen in der Thüringer Straße bot der gut vorbereiteten Diskussionsrunde einen Raum – dafür bedankte sich Inken Martin von der Nachbarschaftsinitiative Nordend, Bornheim, Ostend zu Beginn. Die Moderatorin stellte das Podium vor: Bernd Hausmann, Stadtentwicklungsplaner; Andrea Mösgen, Humangeografin an der Goethe-Universität; Conny Petzold vom Verein Mieter helfen Mietern sowie Björn Egner, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Darmstadt.

Seit 2009 beschäftigt sich Mösgen mit dem Ostend. „2015 war man noch der Meinung, dass es so hässlich sei, dass es gar nicht gentrifiziert werden könnte. Ein Trugschluss, wie sich schnell herausstellte.“ Das einstige Arbeiterviertel wurde in den 1980er Jahren von der Stadt zum Teilsanierungsgebiet erklärt. Bis 1990 habe es vor allem sozialen Wohnungsbau im Quartier gegeben. Seit der Jahrtausendwende fördere die Stadt jedoch die Gentrifizierung mit geeigneten Maßnahmen, wie beispielsweise den Verkauf von Flächen an den Meistbietenden.

In den letzten Jahren seien über 700 hochpreisige Eigentumswohnungen entstanden. Mit dem 2002 geschlossenen Kaufvertrag zwischen Stadt und Europäischer Zentralbank (EZB) wurde das Viertel aufgewertet – doch Bestandsmieter hatten das Nachsehen. „Die Lockerung der Geldpolitik der EZB führte zu höheren Mieten und Kaufpreisen“, stellte die Expertin fest. Während im 20. Jahrhundert die Wohnungspolitik noch eine soziale Komponente gehabt habe, spiele die heute keine Rolle mehr.

Fachmänner geben Meinung preis

38 Jahre lang war Bernd Hausmann in der Stadtentwicklung tätig gewesen. In den 1980er Jahren wohnte er im Ostend. „Gentrifizierung ist nicht nur im Ostend zu beobachten, sondern findet in allen innenstadtnahen deutschen Quartieren von Metropolen statt“, urteilte der Experte. „Die Stadtentwicklungsplanung hat kaum wirksame Instrumente, um den Wohnungsmarkt in den Griff zu bekommen.“ Milieuschutzsatzungen seien Aktionen des Gesetzgebers, der etwas unternehmen müsse, und dienten vorrangig städtebaulichen Zielen. „Beim Begriff ‚bezahlbare Wohnungen’ muss neben der Miete auch das Einkommen betrachtet werden“, bemerkte Hausmann.

Björn Egner ging auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein: „Da wurden in zehn Jahren fünf Millionen Wohnungen gebaut – eine große Aufbauleistung. Heute tun wir uns schwer, weil wir 1990 dachten, dass wir eigentlich keine Wohnungspolitik mehr brauchen würden.“ Fakt sei: Es gebe genügend Wohnungen. Nur eben nicht dort, wo sie benötigt werden. „Der Bund hat sich aus diesem Thema fast vollständig zurückgezogen. So ist die Wohnungsfrage zur Länderaufgabe geworden“, erklärte der Fachmann.

17.000 Sozialwohnungen in 2016

Die Frage sei, warum wir uns gerade auf diesem Feld von der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet hätten. „Übrig bleibt nur noch Marktwirtschaft. Und das wird gerade auf dem Wohnungsmarkt besonders deutlich.“ Laut einer Antwort der Bundesregierung seien 2016 lediglich 17.000 Sozialwohnungen gebaut worden – deutschlandweit. „Wenn man bedenkt, dass in unserem Land über 50 Prozent aller Menschen zur Miete wohnen, ist das ein gefundenes Fressen für Investoren“, verdeutlichte Egner.

„Gerade im Ostend ist die Differenz zwischen Marktmieten und Bestandsmieten eklatant“, fügte Inken Martin an. Egner nickte: „Es bleibt zu befürchten, dass die Mieten in Frankfurt weiter steigen.“ Der 1986 gegründete Verein Mieter helfen Mietern registriere eine neue Wohnungsnot, bemerkte Conny Petzold. „Die Menschen befinden sich zwischen Verzweiflung und Widerstand.“ Viele Jahre wichen Mieter Konflikten mit dem Vermieter aus, doch die Lage verschlimmere sich zusehends. „Mieter brauchen juristische und politische Unterstützung“, forderte Petzold.

Lösungsansätze suchen und finden 

In einer zweiten Diskussionsrunde spielten Lösungsansätze eine Rolle. „Die Stadt verfügt über eigene Grundstücke und könnte entsprechende Bedingungen stellen“, sagte Petzold. Ein Fünftel aller Frankfurter Mietwohnungen gehöre der ABG Holding. Petzold verwies auf die Forderung nach einem Mietentscheid. Nur noch 8,5 Prozent der Mietwohnungen seien preisgebunden, doch zwei Drittel der Frankfurter hätten Anrecht auf eine geförderte Wohnung. 27.000 Sozialwohnungen gibt es derzeit in der Stadt – 1990 waren es 70.000.

„Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen etwas unternommen werden muss“, sagte Andrea Mösgen und nannte die Entwicklung der Bestandsmieten, eine funktionierende Mietpreisbremse sowie lange Sozialbindungszeiten und die Wiedereinführung hilfreicher Instrumente. „Wichtig ist ein vernünftiges Wohnungsbaukonzept“, unterstrich Egner. „2004 wurden fast zwölf Milliarden Euro an Eigenheimzulage gewährt. Dem stehen 2017 Ausgaben für Wohnungswesen und Städtebau in Höhe von 3,56 Milliarden Euro gegenüber. Das gibt zu denken.“ In einer Fragerunde beteiligte sich das Publikum zu den Themen Fehlbelegungsabgabe, ABG, Mietspiegel, Leerstände und Wohnungspolitik.