Wie sich beim gut besuchten Gesprächskreis schnell herauskristallisierte, wirft „Weit über das Land“ beim Leser viele Fragen auf. „Man versteht das Buch erst dann richtig gut, wenn man sich mit anderen darüber ausgetauscht hat“, erklärte die Referentin. Die Teilnehmer der Buchvorstellung hatten ganz unterschiedliche Zugänge zu dem Buch gefunden. Während einige eher mit der verlassenen Frau sympathisierten, war diese anderen viel zu antriebslos, weil sie in der wartenden Haltung ausharrte. Eine Teilnehmerin äußerte, das Buch habe sie aufgrund seines nüchternen, fast schon emotionslosen Stils „kribbelig“ gemacht. „In der Geschichte schwingen zwei Perspektiven – die des Mannes und die der Frau – wie eine Schaukel hin und her“, erklärte Fachinger. Einen Wissensvorsprung hat der Leser nicht, er erfährt nur das, was auch die handelnden Figuren erfahren. Das Ende bleibt offen. „Das kann einen schon kribbelig machen“, pflichtete die Referentin der Teilnehmerin bei. „Aber es regt auch zum Nachdenken an“, ergänzte Fachinger.
Die Referentin, die als Bibliothekarin arbeitet und Literaturgesprächskreise leitet, entschlüsselte, dass der Autor unter den klar beschriebenen Handlungen ein kunstvolles Netz aus Unklarheiten gesponnen habe. Die Geschichte gewinne zudem an fantastischen Elementen, die aus der Epoche der Romantik kommen. So schaut der Protagonist auf seiner Wanderung nach einem schwarzen Vogel, verliert daraufhin das Gleichgewicht und stürzt in eine Felsspalte. „Der schwarze Vogel ist ein wichtiges Symbol der Romantik“, erläuterte die Literaturexpertin. Die Romantik sei stets geprägt gewesen vom Schwärmen, von der Sehnsucht und von der Flucht aus dem Alltag. „Es gelingt Stamm, diese romantischen Motive über die nüchterne Sprache zu legen“, führte sie aus.
Das offene Ende beschrieb Fachinger als starkes Leseerlebnis, dass einen zwar einerseits ratlos zurücklasse, aber andererseits auch die Freiheit gewähre, selbst zu entscheiden, wie die Geschichte ausgegangen sein könnte.
Das Leseprojekt „Ein Bistum liest ein Buch“ dauert ein Jahr und wurde im März im Haus am Dom eröffnet.