Florin erhielt den Preis, der alle zwei Jahre im Gedenken an den bedeutenden Journalisten und Publizisten Walter Dirks (1901 bis 1991) vom Haus am Dom und dem Haus der Volksarbeit vergeben wird, weil sie laut Jury-Begründung „wie Walter Dirks für Geschlechtergerechtigkeit und weltweite Gerechtigkeit, insbesondere in Fragen der sexuellen Gewalt in der Kirche, eintritt und wie er Identifikationsfigur kritischer Gruppierungen im deutschen Katholizismus ist.“
Humor, der nicht resigniert
Julia Wilke-Henrich, Joachim Valentin und Jury-Vorsitzender Hejo Manderscheid übergaben den Preis, der traditionell die Form eines irdenen Hahns hat und mit 2500 Euro dotiert ist, bei einem feierlichen Gottesdienst mit Gesang, Orgel- und Saxofonmusik im Bartholomäusdom. Zuvor war am Nachmittag im Haus am Dom über Frauenrechte in der Kirche diskutiert worden. Katholische Frauenorganisationen nutzten die Preisvergabe, um mit Transparenten auf ihr Anliegen hinzuweisen: Darauf, dass Frauen in der katholischen Kirche noch immer nicht die gleichen Rechte haben wie Männer, und primär dienen sollen. Ein Anliegen, das Christiane Florin teilt und natürlich klar benennt, mit der ihr eigenen Prise Humor und persönlichem Bezug, die man von ihr bei harten Themen gewohnt ist: „Die Mutter meiner Mutter war Mädchen für alles, in einem Kloster-Internat für höhere Töchter. Sie musste für die weiblichen Herrschaften den Boden fegen, Betten machen, Nachttöpfe auskippen. Als gute Katholikin sollte sie ihren niederen Dienst demütig lächelnd tun, das war der Platz für ein einfaches Mädchen vom Land Anfang des 20. Jahrhunderts. Höre ich heute von Kirchenmännern: ,Alle Macht ist Dienst’, glaube ich ihnen schon deshalb nicht, weil man hochwürdigste Herren so selten bodenfegend und nachttopf-leerend sieht“, sagte Florin in ihrer Preisrede.
Florin, die sich selbst als „Arbeiterin, ach was: Proletin der Wirklichkeit“ bezeichnete und Walter Dirks’ Buchtitel „Sagen, was ist“ als „knappste, treffendste und schönste Beschreibung von Journalismus“ kennzeichnete, sagte mit Blick auf die erschütternden Missbrauchsfälle, sie frage sich, ob sie am Anfang ihrer journalistischen Auseinandersetzung mit Religion naiv gewesen sei. „Ich habe vor zehn Jahren noch nicht damit gerecht, in Interviews mit Kirchenmännern angelogen zu werden und es nicht zu merken, weil da kein Zittern in der Stimme ist. Keine verdrehten Hände, wenn die Wahrheit verdreht wird. Bedauerliche Einzelfälle, nichts geahnt, nichts gewusst – nicht befasst. Den Rest regelt der Anwalt. Jesus war Jurist“, sagte sie. „Fehler“ hätten einige Bischöfe eingestanden – und doch immer anderen die Schuld gegeben: Dem System. Dem Klerikalismus. Den Medien. Niemand habe gesagt: „Mir waren die Kinder, die Jugendlichen, die Familien nicht so wichtig. Mir war die eigene Karriere wichtiger oder die eines klerikalen Bruders wichtiger als der Schutz der Schwachen.“ Und niemand habe je öffentlich eingestanden, schlicht und einfach gelogen zu haben.
Lebenswichtig für die Opfer von Unrecht
Missstände deutlich zu benennen, eben zu sagen, was ist, begreift sie als Anspruch an ihren Beruf: „Als Journalistin bin ich nicht Anwältin der Opfer, ich bin Anwältin der Wirklichkeit. Öffentlich das Unrecht ,Unrecht’ nennen und die Lüge ,Lüge’ – das ist lebenswichtig für die Opfer von Unrecht und Diskriminierung.“
Kirchendezernent Bastian Bergerhoff begrüßte die Anwesenden im Dom im Namen der Stadt Frankfurt und nannte Florin eine „sehr würdige Preisträgerin“: „Zwischen ihr und Walter Dirks lassen sich viele Parallelen finden: Beide sagen, was ist, beide stehen für Rechte der Frauen ein, aus dem Glauben an Gleichberechtigung heraus, und beide stehen auch für Kritik an kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen“, sagte Bergerhoff.