Beim Wohnprojekt Ilex unterstützen sich Senioren gegenseitig Ein Weg raus aus der Altersisolation

Sie verbringen ihre Zeit aktiv und sozial: Bewohner des Projekts Inge Meermeier, Doris Fincke, Manfred Haas, Sabine Kress und Lisa Uibel (von links) entgehen durch ihr Engagement der Altersisolation. Bild: Patrick Scheiber

Hanau – Alle 14 Tage gibt es einen Kaffee- und Teenachmittag. Einmal monatlich brunchen sie und beteiligen sich an einem Aktionstag. Zukünftig soll ein „Salon“ auf die Beine gestellt werden. Dann finden sie sich zusammen und diskutieren zu einem bestimmten Thema, beispielsweise zu einem Buch oder Artikel. Bei Krankheit unterstützen sie sich, kochen Essen, gehen einkaufen, begleiten Arztbesuche. Wer sie sind? Die Bewohner des gemeinschaftlichen Wohnprojekts Ilex in Kesselstadt.

Insgesamt 17 Seniorinnen und Senioren teilen sich bei diesem Projekt aktuell ein Gebäude mit 16 Mietwohnungen. Das Ziel ist, ihnen ein möglichst eigenständiges Leben in einer Gemeinschaft zu ermöglichen. Das barrierefreie Gebäude bietet ihnen die Freiheiten eines eigenen Rückzugsortes mit der Chance auf sozialen Kontakt, ganz nach dem Prinzip „raus aus der Altersisolation“.

Die Idee für dieses Projekt entstand Mitte der 2000er Jahre, erklärt Lisa Uibel, Bewohnerin der Wohngemeinschaft. Das städtische Seniorenbüro habe mit einem Aufruf für dieses Projekt geworben und vereinte mit dieser Infoveranstaltung eine Gruppe mit gleichen Vorstellungen und Wünschen zum Thema Wohnen im Alter.

Viele Interessierte seien dazu gekommen und auch wieder abgesprungen, fährt Uibel fort. Unter ihnen habe sich eine Stammgruppe gebildet, die den gemeinnützigen Verein „zusammen(h)alt“ gründete und ein passendes Grundstück sowie einen Investor suchte. Das Wohnprojekt sei durch „viel Eigeninitiative“ entstanden, sagt erste Vorsitzende Doris Fincke. Im Juni 2013 war es endlich soweit: Das Gebäude war bezugsfertig.

Nun, etwas mehr als zehn Jahre später, sind zwar nicht mehr viele der Gründungsmitglieder da. Doch das Gebäude in der Keplerstraße ist weiterhin bewohnt. In friedlichem Miteinander teilen sich die Bewohner die Verantwortungen für das Haus.

Im Wechsel kümmern sie sich um den Gemeinschaftsraum und das Grundstück, sagt Uibel. Bei monatlichen, für alle Bewohner obligatorischen Versammlungen klären sie zentrale Themen und stimmen demokratisch ab, ob etwa ein neuer Baum gepflanzt wird, welche neuen Gartengeräte angeschafft werden sollen oder ob ein Gemälde im Haus aufgehängt wird. Jeder Bewohner solle sich einbringen und eine Stimme haben, erklärt die Gruppe. Fincke hält bei einem Besuch unserer Zeitung eine ellenlange Liste an Aktivitäten bereit und stellt ein paar davon vor. Neben Aktionen, bei denen sie Spiele spielen oder in einer Kreativgruppe aktiv werden, können und sollen Bewohner ihre eigenen Interessen und Persönlichkeiten einbringen. So habe es jahrelang eine Qigong-Gruppe gegeben, die Dehnübungen mit einem Bambusstab an der frischen Luft machte. Sie engagieren sich auch außerhalb ihres Hauses ehrenamtlich und beteiligen sich beispielsweise bei den Lesepaten an der Heinrich-Heine-Schule, „Hanau liest ein Buch“ oder im Seniorenbeirat.

Die Bewohner führen ein reges, aktives und vor allem soziales Leben. Und das falle nicht jedem leicht. „Man muss mit der Gemeinschaft ein Stück weit mitwachsen“, erklärt Manfred Haas. Der 79-Jährige ist bereits seit elf Jahren Bewohner des Wohnprojekts und hat vieles miterlebt. Etwa Neuankömmlinge, die sich das Miteinander anders vorgestellt hatten.

Die eigene Individualität mit der Gemeinschaft zu vereinbaren, sei eine große Hürde. Haas veranschaulicht das an einem Beispiel: „Das sind manchmal so ganz banale Sachen. Wir hatten mal jemanden, der sich nicht vom Brunch abgemeldet hat. Für ihn war das kein Problem, aber für die Organisation war das schwierig.“ Schließlich müsse man genug Essen für jeden vorbereiten, damit es nicht zu viel und nicht zu wenig ist. „Dann kam er nicht und war nicht zu erreichen“, fährt er fort. Deswegen sei es schon vorgekommen, dass sich neue Bewohner auch nach einem Jahr nicht einfinden konnten und wieder auszogen.

Neue Mitbewohner werden nach einem Auswahlverfahren, an dem sich alle beteiligen, passend zur Gruppe ausgesucht. „Rücksichtnahme, Respekt, Toleranz und Individualität“, zählt Fincke ihre Auswahlkriterien auf. Dabei sei ihnen wichtig, den Bewerbern auch ihre Grenzen zu kommunizieren. „Wir können nicht pflegen“, sagt Uibel. Zum Leben in der Wohngemeinschaft gehöre beispielsweise auch die Gartenarbeit, dazu benötigten die Bewohner eine gewisse Beweglichkeit. Das sei ab einem bestimmten Alter schwierig zu stemmen, deswegen liegt die Altersgrenze bei 80 Jahren. „Irgendwann gehen bestimmte Dinge körperlich einfach nicht mehr.“

Laut Angaben der Bewohner werden sie bundesweit von Interessierten kontaktiert. „Von außerhalb kommen mehr als aus Hanau“, sagt Uibel. Dabei sei nicht nur die Gemeinschaft von Interesse. Fincke erklärt: „Es ist für unsere Kinder beruhigend und eine Alternative zum Betreuten Wohnen. Ein Pflegeheim ist wesentlich teurer.“ Denn beim Einzug bestehe die Möglichkeit auf eine Mietvorauszahlung für 15 Jahre, nach Ablauf gelte die marktübliche Miete. Im April ziehe ein neues Ehepaar dazu. Dann bliebe noch eine freie Wohnung übrig.

„Wir würden uns über mehr Männer freuen“, sagt Uibel amüsiert. Aktuell habe das 17-köpfige Ensemble nur vier.
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