Spaziergang zeigt Orte jüdischen Lebens in Sprendlingen Die Erinnerung wachhalten

Gedenken der Deportation in Sprendlingen vor 79 Jahren: Stadtarchivar Reinhard Pitterling und die Brüder Hans Ludwig und Wilhelm Schäfer (von links) vor dem jüdischen Friedhof. Foto: Schmidt

Dreieich – In Erinnerung an die Deportation der letzten Jüdinnen und Juden aus Sprendlingen haben sie sich auf dem Gehweg vor dem Haus in der Hauptstraße 70 eingefunden. Gemeinsam mit Stadtarchivar Reinhard Pitterling stehen die Brüder Wilhelm und Hans Ludwig Schäfer vor dem Eiscafé Central. Während Letzterer die Namen der 16 Juden verliest, die am 17. September 1942 aus den Häusern geholt worden sind, gehen das geschäftige Leben, der Verkehr, der Trubel drumherum ohne Notiz zu nehmen weiter.

Denn an diesem Ort erinnert nichts daran, was an jenem Septembertag in der Hauptstraße geschah. „Alle Einwohner aus den Häusern 60 und 70 wurden auf einen Lastwagen gebracht, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor dem Haus Fischer hielt“, erzählt Hans Ludwig Schäfer.

Und fährt fort: „Über die hintere Bordwand mussten die Deportierten auf die Ladefläche klettern und wurden dann in Richtung Offenbach abtransportiert.“ Von dort wurden sie, wie es beschönigend hieß, „nach Osten gebracht“. Konkret bedeutete dies für den Großteil, wie aus Hans Ludwig Schäfers Dokumenten hervorgeht: zunächst die Unterbringung im sogenannten Getto Theresienstadt. Ein weiterer Euphemismus des NS-Regimes, der suggerieren sollte, den dortigen Häftlingen stünde ein längerer Aufenthalt bevor. Letztendlich war es jedoch ein fester Bestandteil des weitverzweigten Systems von Konzentrationslagern. Wer dort nicht schon unter den elenden Lebensbedingungen verstarb, wurde – wie die meisten der Sprendlinger Jüdinnen und Juden – weiter ins Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert.

Um diesen Teil der lokalen Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, organisiert Hans Ludwig Schäfer regelmäßig am Jahrestag der Deportation einen Rundgang zu den Orten früheren jüdischen Lebens. Schließlich kann Sprendlingen mit der ehemaligen Synagoge genauso wie mit der Mikwe – dem rituellen Bad – auf eine Jahrhunderte währende Geschichte jüdischen Lebens mit einer kleinen Gemeinde zurückblicken.

Als ehrenamtliche Unterstützer leisten die Brüder Schäfer dem Stadtarchivar wichtige Zuarbeit, um das historische Geschehen aufzuarbeiten, berichtet Reinhard Pitterling.

„Beim derzeitigen Umbetten des Archivs stoßen wir immer wieder auf Zufallsfunde, die wie neue Puzzelstücke sind“, sagt Wilhelm Schäfer. Taten wie der antisemitische Anschlag auf die Synagoge in Halle vor zwei Jahren zeigten, so die drei einstimmig, wie wichtig die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit auch heute noch sei.

VON JOEL SCHMIDT