Unrühmliche Geschichte des Kreiserziehungsheims dokumentiert „Dann kommst’e in die Anstalt“

Groß war das Interesse an der Ausstellungseröffnung im Stadtmuseum: Frank Zimmermann (rechts), der maßgeblich an dem Projekt mitarbeitete, führte durch die Präsentation. Bild: m

Mühlheim – Selten stößt eine Ausstellung im Stadtmuseum auf so große Resonanz wie die über das Kreiserziehungsheim. Rund 50 Interessierte wohnten ihrer Eröffnung bei. Die Exponate, Fotos, Dokumente und Interviews mit einstigen Bewohnern der Einrichtung wurden zunächst im Gebäude selbst präsentiert. Jetzt zogen sie von den Räumen der Bereitschaftspolizei, die das Haus heute nutzt, ins Museum.

Frank Zimmermann sprach von einem „Teil der Mühlheimer Erinnerungskultur“. Er sammelte und bearbeitete die Zeitzeugnisse zusammen mit einem Oberstufen-Kurs des Friedrich-Ebert-Gynasiums und dem Geschichtsverein. Die Ausstellung ist in acht Kapiteln aufgebaut, von der Entstehung des Gebäudes über das Erziehungskonzept bis hin zu Zwangssterilisation und Tötung „unwerten Lebens“.

Eine Werbebroschüre von 1929 warb für die Pädagogik des Heims, die von Anbeginn koedukativ war, also den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen vorsah. Betreut wurden Kinder ohne Eltern oder von solchen, die während der Nazi-Diktatur politisch aufgefallen waren, „Idioten“ und „Schwachsinnige“. Gemäß der Rassenlehre konnten sie auch durch die Vermessung der Köpfe ausgemacht werden. Die jüngsten Insassen waren acht oder neun Jahre alt, die ältesten 21. Der offene Charakter ermöglichte immer wieder Ausbrüche. Fast alle Geflohenen wurden wieder aufgefunden und tagelang in den „Katzer“ gesperrt. Den Jungs drohte zudem die Zwangssterilisation in anderen Einrichtungen, den Mädchen in einer Klinik in Mainz.

Eugenie Witzel aus der Offenbacher Hasengasse kam in die Anstalt, weil ihre Eltern als kommunistisch gesinnte Arbeiter galten und im Gefängnis saßen. Der Zeitzeuge Schuh wurde dorthin verbracht, weil die Ehe seiner Eltern die erste war, die in Hainstadt geschieden wurde, berichtete der Sprecher. In Mühlheim selbst drohten Mütter und Väter, „wenn du net brav bist, kommst’e in die Anstalt“, erinnerte sich Gerda Brinkmann vom Geschichtsverein.

Mit dem Unterricht wurde es immer schwieriger, weil Heimleiter Hans Hoffmann keine Lehrkräfte fand. „Das Haus hatte einen schlechtenRuf“, hieß es. Die Buben konnten aber eine Ausbildung zu Schreiner, Schuster oder Gärtner beginnen, die Mädchen wurden in Hauswirtschaft, Kochen und Gartenarbeit unterwiesen. Manche wurden zu Arbeiten im Stadtgebiet eingesetzt.

Nicht belegt ist, ob Heimkinder am Brand der Synagoge beteiligt waren. Der Kreis Offenbach verfügt über gar keine Papiere von seiner Einrichtung mehr, der Geschichtskurs vom Friedrich-Ebert-Gymnasium recherchierte vor allem im Landesmuseum in Darmstadt. Bei den Kliniken wurden die Sterilisierten nur mit abgekürzten Nachnamen geführt. Bekannt ist hingegen, dass Pfarrer Hoffmann bis 1948 eine Hilfsstelle bekleidet hatte und von ‘51 bis ‘68 Seelsorger der Schlossgemeinde in Rumpenheim war. Er starb in Budenheim in Rheinhessen.
Information

Die Ausstellung über das Kreiserziehungsheim im Stadtmuseum ist an den Sonntagen 28. April, 5. und 12. Mai von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Sonderführungen können organisiert werden über den Vorsitzenden des Geschichtsvereins, Karl-Heinz Stier, Telefon z 0171 533 14 25.

Von Michael Prochnow