„Zeit Raum. Nach ‚Here’ von Richard McGuire“ Museum Angewandte Kunst zeigt neue Ausstellung

Bison aus der Zeit 10 000 vor Christus im Wohnzimmer von 1915 – verschiedene Zeiten treffen an einem Ort aufeinander. Foto: Faure

Sachsenhausen (jf) – Ein Wohnzimmer, die vorherrschende Farbe: Lila. In verschiedenen Abstufungen. Mit einem breiten Band zusammengeraffte Übergardinen, Stores, ein Sessel mit geschwungenen Armlehnen. Auf einem kleinen Tisch mit gedrechseltem Mittelfuß eine Tiffany-Lampe. Die Jahreszahl 1915 steht links oben auf der Wand. Riesig und zentral das Bild eines Bisons im Gras. Es vermittelt den Eindruck, wie die Gegend an dieser Stelle vor 10.000 Jahren vor Christus ausgesehen haben könnte – die Datierung befindet sich auf dem Tierbild. Nach der Vorlage der Graphic Novel (ein Comic in Buchform) „Here“ von Richard McGuire, die 2014 in den USA und im gleichen Jahr in deutscher Übersetzung erschien, gestaltete das Museum Angewandte Kunst das Wohnzimmer aus dieser Graphic Novel in drei verschiedenen Szenerien nach – die Räume sind begeh- und bespielbar.

Um diese Installationen, zu denen die Besucher eigene Vorschläge zur Gestaltung einbringen können, gruppieren sich weitere Objekte zum Thema Raum und Zeit. So gibt es beispielsweise in einem Gang hinter der zentralen Exposition diverse Podeste, auf denen Gegenstände aus der Sammlung des Museums und aus privaten Beständen präsentiert werden. Sie reichen von 250.000 vor Christus bis in das Jahr 2014. Diese Zeitreise endet mit dem E-Book „Here“. Den Podesten gegenüber hängt an der Wand die sechsseitige erste Version von „Here“, 1989 im Comic-Magazin „RAW“ in Schwarz-Weiß veröffentlicht. Mit genialer Bildarchitektur revolutionierte McGuire den Comic.

Außerdem sind Reproduktionen aus der farbigen, 300-seitigen Graphic Novel ausgestellt – ein Bild kann auch verändert werden, ein zweites Bild dazu ist flexibel angebracht. „Here“ erzählt fragmentarisch Geschichten; im gleichen Umfeld, dem Wohnzimmer in McGuires Elternhaus, verbindet der Künstler Gegenwart und Vergangenheit, Weltgeschichte und Alltag. Unser Verhältnis zu Zeit und Raum wird dabei hinterfragt. Neben den drei Installationen, die einen immer gleichen Raum in verschiedenen Jahren und mit unterschiedlichen Menschen zeigen und die Besucher einladen, in diesem Raum selbst zu agieren, gibt es eine Zeitmaschine, in der die Besucher Platz nehmen können. Auf einem Monitor wird der etwa sechsminütige Animationsfilm „Shelter“ von Carl Burton gezeigt. Ausganspunkt der epischen Reise durch Raum und Zeit sind ein Fenster aus der Bilderzählung Richard McGuires und ein unscheinbarer Dachboden.

Interaktiver Museumsbesuch

Leanne Shapton ist mit ihrer Aquarell-Serie „A9 paintings“ vertreten – auf den Blättern sind skizzierte, schemenhafte Landschaften zwischen Berlin und München zu sehen, die der Künstlerin während einer Fahrt auf der A9 im schnellen Vorbeifahren im Gedächtnis blieben. Der wissenschaftlich-didaktisch orientierte Film „Journey into and through a Reissner-Nordström black hole“ von Andrew Hamilton nähert sich aus naturwissenschaftlicher Perspektive dem Phänomen Zeit an.

„Die Ausstellung ist ein sinnliches Erlebnis für die ganze Familie“, unterstrich Matthias Wagner K, Direktor des Museums Angewandte Kunst. Es sind Leseecken eingerichtet, in denen man in Comics, Erzählungen und populärwissenschaftlichen Büchern und natürlich auch in „Hier“ blättern kann. „Die Ausstellung setzt die Bilder von Richard McGuire nicht nur in eine dritte Dimension. Mit Hilfe der Interaktion der Besucher bekommen die Installationen eine weitere Ebene dazu. Gleichzeitig ist diese Exposition ein Wagnis – wir hoffen, dass die Gäste sorgsam mit den Objekten umgehen“, erklärte Kurator David Beickirch.

Die interaktive Schau wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Vorträgen, Sonderführungen und Workshops begleitet. Die Ausstellung wird bis zum 11. September im Haus am Schaumainkai 17 gezeigt.