ALB-Diskussion mit Vorsitzendem des U-Ausschusses zum Anschlag von Hanau „Gewalt ist unser gemeinsamer Feind“

Erneut hat der Ausländerbeirat eine Diskussion zum rassistischen Anschlag in Hanau organisiert: Diesmal stand Marius Weiß, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, Rede und Antwort. Rechts Mehmet Canbolat.

Langen – Fünf Minuten und sechs Sekunden waren es, die vor fast genau drei Jahren das Leben von neun Familien dramatisch veränderten. Das grausame, rassistisch motivierte Verbrechen, das sich in dieser Zeitspanne in Hanau ereignete, kostete neun junge Menschen das Leben und hinterließ ihre Angehörigen in Schmerz und Trauer. Weitere Menschen wurden verletzt.

Auf Einladung des Langener Ausländerbeirates war am vergangenen Freitagabend der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtages, Marius Weiß, zu Gast, um einen Zwischenbericht über die Erkenntnisse zu geben, die das 15-köpfige Gremium, das sich seit Juli 2021 mit der Tat beschäftigt, bis jetzt gewonnen hat. Zum Jahrestag die Erinnerung an die Opfer wachhalten und Lehren für die Zukunft ziehen möchte der Vorsitzende des Ausländerbeirates, Mehmet Canbolat, mit der Veranstaltung. „Gewalt ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen alles in unser Macht stehende tun, um sie zu verhindern“, sagt er. Fotos der neun Ermordeten stehen hinter dem Rednerpult, in einer Videoeinspielung werden sie namentlich genannt. „Für uns stehen die Opfer im Mittelpunkt, nicht der Täter“, sagt Marius Weiß. Mit den Angehörigen der Getöteten habe man als erstes gesprochen. Dass die neun Menschen durch ihre Arbeit nicht mehr lebendig werden, sei allen Beteiligten klar, sagt der 47-jährige Jurist mit SPD-Parteibuch: „Aber vier Dinge sind wir ihnen schuldig.“ Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen seien das. „Wir schauen uns sehr genau an, was vor, was während und was nach der Tat passiert ist und welche Schlüsse man daraus ziehen kann, damit so etwas nie wieder vorkommen kann“, betont er. 30 Sitzungen habe es bereits gegeben, 77 Sachverständige und Zeugen seien bisher befragt worden. Bis zum Abschlussbericht, der Ende Mai vorliegen werde, sollen es mehr als 100 werden. Von zehn Punkten, die man zu beleuchten sich vorgenommen habe, berichtet Weiß. Ein verschlossener Notausgang gehört dazu, ein überlastetes Notrufsystem ebenso.
 ms

Fortsetzung auf Seite 5

Der Umgang der Behörden mit den Angehörigen ist genauso Thema wie die Frage, ob man die Tat hätte verhindern können. Schockierende Antwort einer Sachverständigen vor dem Ausschuss: Ja, so einen Täter hätte man im Vorfeld erkennen können. Männlich, mittleren Alters, rassistisch auffällig geworden und Waffenbesitzer – das alles seien typische Faktoren, habe sie dem Ausschuss berichtet. Warum dieser Mensch eine Waffenbesitzkarte haben durfte, darauf steht die Antwort noch aus. Wie so viele.

Zuschauerfragen drehen sich an diesem Abend vor allem um die Rolle der Polizei und Verwaltung. Dass der Notruf seit Jahren nicht zufriedenstellend funktionierte, sei doch bekannt gewesen, sagt eine Frau aus dem Publikum und möchte wissen, warum der Innenminister nicht die Verantwortung dafür übernommen habe und zurückgetreten sei. Das werde er Peter Beuth fragen, wenn dieser im Mai als einer der letzten vor dem Ausschuss als Zeuge aussage, verspricht Weiß. Dass den Angehörigen ein Angebot der Gerichtsmedizin, sich am Totenbett zu verabschieden, durch die Polizei nicht kommuniziert worden sei, spricht Weiß selbst an. Warum? Unklar.

Wie sich später herausstellte, gehörten 13 an dem Einsatz in der Tatnacht beteiligte Frankfurter SEK-Beamte einer Chatgruppe an, in der neonazistisches und rassistisches Gedankengut geteilt wurde. Wie es sein könne, dass eine solche Gesinnung vorher niemandem aufgefallen sei und ob das Auswirkungen auf den Einsatz gehabt habe, möchten gleich mehrere Zuhörer wissen. Immerhin habe die Polizei beim Zugriff am Täterhaus sehr lange gewartet und das ohne zu wissen, ob von dem Mann noch eine Gefahr ausgehe. Auch sei sich nicht schnell genug um alle Opfer gekümmert worden. Auch diese Fragen harren noch der Beantwortung. „Nazis und Rassisten in der Polizei, das geht gar nicht“, sagt Weiß. Man müsse solche Leute bereits in der Ausbildung erkennen. Hinweise auf justiziables Fehlverhalten der Beamten im Einsatz gebe es bisher aber nicht.

Zwar habe sich der Täter durch Selbstmord der Strafverfolgung entzogen, doch ob nicht dessen Vater an der Tat beteiligt gewesen sein könnte, lautet eine weitere Frage. Für ihn sei klar geworden, dass die Gesinnung des Mannes auf den Sohn Einfluss gehabt haben muss, sagt Weiß, doch eine Tatbeteiligung ließe sich bis dato nicht nachweisen.

Was bleibt, sind immer noch offene Fragen. Dass diese mit Vorlage des Abschlussberichtes im Sommer beantwortet werden, darf man nur hoffen. Eines zumindest verspricht Weiß: „Die Erinnerung an die Opfer wird weitergehen.“