Die Zeitzeugen Jutta Fleck und Beate Gallus berichten von früher Ein verratener Plan und zwei Jahre Gefängnis

Jutta Fleck ist die Frau von Checkpoint Charlie. Gemeinsam mit ihrer Tochter Beate Gallus berichtete sie in der Dreieichschule in Langen von der dunklen Zeit in der DDR. Foto: col

Langen (sina) – Der Musiksaal der Dreieischule ist voll: Schüler, Lehrer, Eltern – viele sind gekommen, um ihre Geschichte zu hören: Jutta Fleck, auch bekannt als „Die Frau vom Checkpoint Charlie“. Zusammen mit ihrer Tochter Beate Gallus ist die Zeitzeugin der DDR-Diktatur im Gymnasium zu Gast, um von ihrer gescheiterten Flucht, ihrer Zeit im Frauengefängnis und schließlich ihrem Kampf um die beiden Töchter zu berichten.

„Wir bitten Sie mitzukommen zur Klärung eines Sachverhalts“, hörte Jutta Fleck, damals hieß sie noch Gallus, diesen Satz – wie schon viele vor ihr und noch viele nach ihr. Es war 1982. Die zweifache Mutter hatte sich an eine Fluchthilfeorganisation gewandt und wollte den Familienurlaub in Rumänien nutzen, um in die Bundesrepublik zu gelangen. Doch ihr Plan wurde verraten, sie festgenommen, in die DDR überstellt und von ihren Kindern getrennt. „Ich hätte niemals gedacht, dass wir so etwas in unserer Zeit noch erleben müssen“, waren damals die Gedanken der gebürtigen Dresdnerin, die fast zwei Jahre im Frauengefängnis Hoheneck verbringen musste.

Was geschehen ist, kann Fleck heute zwar ruhig, aber dennoch emotional wiedergeben: Untersuchungshaftanstalt Bautzner Straße in Dresden, Verurteilung wegen „schweren Falles von Republikflucht“ zu drei Jahren Haft in Hoheneck, menschenverachtende Prozeduren, totale Überwachung – selbst beim Briefkontakt mit ihren Kindern. Für die Schüler ist das alles aus heutiger Sicht zwar schwer zu begreifen, aber nicht minder erschütternd: „Es ist erschreckend, dass das eigentlich noch so nah ist und so kurz nach dem NS-Regime wieder passieren konnte“, finden Sven Gärtner und Jakob Graf, beide haben Geschichtsleistungskurs.

Nach 22 Monaten wurde Fleck von der Bundesregierung freigekauft und siedelte in die BRD über, aber ihre Kinder musste sie zurücklassen. Damit begann ihr Protest am Checkpoint Charlie, mit dem sie vier lange Jahre um ihre Töchter kämpfte. Beate Gallus war gerade mal neun Jahre alt, als sie von der Mutter getrennt wurde und mit ihrer elfjährigen Schwester Claudia in ein Heim für schwererziehbare Kinder kam. Sie schildert nun die Seite der Mädchen, die Angst, nicht zu wissen, wohin man gebracht wird, dann die vergeblichen Fluchtversuche aus dem Heim. Die beiden erlebten das Pendant zur Erwachsenenhaft, bekamen eine Identifikations-Nummer, wurden kaum mehr mit ihren Namen angesprochen und bespitzelt – von den anderen Kindern, die dazu motiviert wurden.

Die Schilderungen der Zeitzeugen zeigen bei den Langener Gymnasiasten eine große Wirkung, die durch kein Buch zu ersetzen ist, denn „es ist etwas anderes, es von jemandem erzählt zu bekommen, der direkt betroffen ist. Es bringt einen persönlichen Bezug, den uns kein Schulbuch so vermitteln könnte“, meint Oberstufenschüler Tim Leuschner.

Zeitzeugin Jutta Fleck sieht es als ihre Lebensaufgabe, den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur zu vermitteln, damit gerade die junge Generation die Freiheit, in der sie aufwächst, schätzen lernt und achtsam damit umgeht.

Bei Tim Leuschner und seinen Mitschülern Jakob Graf und Sven Gärtner ist die Botschaft auf jeden Fall angekommen: „Es ist unsere Verantwortung darauf zu achten, dass so etwas nicht wieder passiert.“