Muttersprache und Vaterland – Gedanken über das, was Heimat ist

Wieder erleben wir, dass Menschen durch einen grausamen Krieg aus ihrem Vaterland vertrieben werden. Unzählige Menschen sind aus der Ukraine geflohen. Für die Verständigung in einem anderen Land muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Oder ein Mensch, der dolmetschen kann. Welche Erleichterung, wenn Jemand meine Sprache spricht und mich versteht.

Ist es nicht so: Heimat hat mit Sprache zu tun. Heimat ist, wo meine Muttersprache gesprochen wird. Heimat ist, wo ich sprechen gelernt habe. Heimat war damals, als die Stimme meines Vaters mich sprechen lehrte und Mutter mir Geschichten erzählte.

Heimat – sind das die Menschen, zu denen ich gehöre? Ist es eine Landschaft, die lebenslang ihren Ort in meiner Seele hat? Hat Heimat mit der Muttersprache oder mit dem Vaterland oder mit dem Elternhaus zu tun? Oder ist Heimat eher ein Gefühl als ein Ort?

So viele Menschen leben unter uns mit Erinnerungen an eine verlorene Heimat.

Aus der bitteren Erfahrung, dass eine Heimat sehr leicht verloren gehen kann, ist das Gedicht „Ziehende Landschaft“ von Hilde Domin entstanden, die während der Diktatur der Nazis ins Exil in die Dominikanische Republik fliehen musste: Man müsste sein wie ein Baum, überlegt sie darin, der seine Wurzeln fest in der Erde hat, und die Landschaft und das Leben ziehen vorbei, aber wir stehen fest: … „und wir zuhause sind, wo es auch sei, und nieder sitzen können und uns anlehnen, als sei es an das Grab unserer Mutter“.

Hilde Domin hat erlitten, dass wir keine Bäume sind, sondern Menschen mit einer tiefen Sehnsucht nach Heimat in unseren Herzen. In der Bibel klingt das so: „Wir haben keine bleibende Stadt, die zukünftige suchen wir.“ (Hebräerbrief Kapitel 13 Vers 14).

Barbara Friedrich, Pfarrerin

Evangelische Kirchengemeinde Gravenbruch/Evangelische Johannesgemeinde Neu-Isenburg